Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

Sommer 2014: Die Entdeckung des Tanzens und meine ersten Clubbesuche

August, 2014. Nach der Abiturfahrt gab es endlich Abschlusszeugnisse. Am letzten Schultag kam ich in einem schicken schwarzen Anzug, den ich damals von Dima geschenkt bekommen hatte. Hätte ich diesen Anzug nicht besessen, wäre ich wahrscheinlich ähnlich wie Niels zur Zeugnisvergabe erschienen. Er trug zu jeder Jahreszeit und zu jeder anderen Veranstaltung eine kurze Hose und ein T-Shirt. Auch zur Zeugnisvergabe.

Noch einen kurzen Moment stand ich mit Mama und meinen Schwestern im Schulfoyer zusammen und tauschte mich über meine Abschlussnoten aus. In diesem Augenblick kam Niels mit einem Lächeln auf mich zu, die Hände in den Hosentaschen vergraben.

»Hey Alex! Was ist dein Notendurchschnitt?«

»Frag lieber nicht. Drei Komma drei!«, gestand ich mit einem Grinsen. »Hauptsache, ich kann jetzt Physik studieren.«

Mit einer überraschenden Antwort trat Niels näher.

»Ich werde jetzt auch Physik studieren.«

Niels zeichnete sich zwar durch seine Englischkenntnisse aus und bewegte sich mittelmäßig in Mathematik, aber in Physik war er alles andere als gut.

»Was? Wirklich? Wie kommst du zu dieser Entscheidung?«, hakte ich neugierig nach.

»Ich weiß es selbst nicht genau. Vielleicht hat mich dein Ehrgeiz im Physikunterricht inspiriert«, erwiderte er grinsend.

»Planst du auch in Hannover zu studieren?«, fragte ich neugierig weiter.

»Ja, wir werden uns bestimmt wiedersehen!«

»Bestimmt! Wir werden sicherlich in denselben Vorlesungen sitzen.«

»Pass gut auf dich auf, Alex.«

»Ciao, Niels«, verabschiedete ich mich von ihm und begab mich mit meiner Familie auf den Heimweg.

Mit dem erfolgreichen Abschluss des Abiturs war ich nun bereit, meinem Traum des Physikstudiums an der Leibniz-Universität nachzugehen. Bevor jedoch mein Abenteuer an der Universität begann, hegte ich den dringenden Wunsch, meine Angst zu überwinden, die mich in der Prager Diskothek fest im Griff hatte und mich stark daran hinderte, zu tanzen.

Ich stand noch kurz mit Mama und meinen Schwestern im Schulfoyer und tauschte mich mit denen über meine Endnoten aus.

Niels, mit den Händen in den Hosentaschen, kam auf mich mit einem Lächeln zu.

»Na Alex! Was hast du für einen Notendurchschnitt?«

»Frag besser nicht. Drei komma drei! Hauptsache ich kann jetzt Physik studieren« antwortete ich und grinste.

»Ich werde jetzt auch Physik studieren«, überraschte mich Niels mit seiner Antwort.

Niels war zwar ausgezeichnet in Englisch, mittelmäßig in Mathematik, aber alles andere als gut in Physik.

»Was? Wirklich? Wie kommst du auf so eine Entscheidung?«

»Ich weiß es selbst nicht. Vielleicht hat mich dein Ehrgeiz im Physikunterricht angesteckt« antwortete er grinsend.

»Studierst du dann auch in Hannover?« fragte ich ihn neugierig weiter.

»Ja, wir sehen dann bestimmt wieder!«

»Sicher! Wir werden in den gleichen Vorlesungen sitzen.«

»Machs gut Alex«

»Ciao, Niels«, verabschiedete ich mich von Niels und fuhr mit meiner Familie nach Hause.

Durch den Abschluss des Abiturs war ich nun in der Lage, meinem Traum des Physikstudiums an der Leibniz-Universität in Hannover nachzugehen. Doch bevor es mit der Uni losging, wollte ich unbedingt meine Schüchternheit, dieses Unwohlsein überwinden, das ich in der Prager Disko verspürt hatte.

Niels studiert mit mir Physik

August, 2014. Obwohl mir die Musik richtig gut gefiel und mein Körper sich unbedingt bewegen wollte, traute ich mich im nüchternen Zustand nicht, zu tanzen. Ich erinnerte mich an die Lektionen von André, mit deren Hilfe ich meine Frauen-Ansprechangst überwinden konnte. Im Grunde war es die gleiche Angst, das gleiche Unwohlsein. Um sie zu besiegen, musste ich einfach öfter in Diskos gehen und tanzen. Erst ist es peinlich und unangenehm, aber irgendwann verschwindet dieses Gefühl.

Also setzte ich mich abends in den Zug und fuhr in eine russische Diskothek namens Infinity Club. Um mehr Selbstbewusstsein zu gewinnen, quatschte ich unterwegs zur Diskothek eine Frau an. Sie ging auch feiern, aber in einen anderen Club.

Ich war bereits um 22:50 Uhr da, obwohl der Türsteher mir auf Russisch sagte, dass die Disko erst um dreiundzwanzig Uhr öffnen würde. Pünktlich um dreiundzwanzig Uhr ließ er mich als ersten Gast hinein. Als ich mich an die Bar setzte und einen Cocktail bestellte, kam, wie ich erwartet hatte, dieses unangenehme Gefühl auf. Doch neben diesem Gefühl verspürte ich zusätzlich ein anderes Unwohlsein. In Prag war ich mit Daniel und Niklas unterwegs gewesen, diesmal war ich ganz allein. Ich hatte Angst, dass die hereinströmenden Gäste von mir denken würden: »Guck mal, der hat keine Freunde! Er ist ganz allein hier. Sitzt auch noch da in der Ecke und traut sich nicht Spaß, zu haben.«

Beim ersten Mal traute ich mich nicht wirklich auf die Tanzfläche. Ich stand nur am Rand und nickte ein bisschen mit dem Kopf zur Musik. Doch die nächsten Wochenenden waren erfolgreicher. So langsam überwand ich nicht nur das Unwohlsein, allein in Clubs zu gehen, sondern auch zu tanzen. Nach jedem Diskobesuch traute ich mich mehr und mehr, bis ich meinen Körper einfach so bewegte, wie ich ihn bewegen würde, wenn ich alleine in einem Raum mit guter Musik wäre.

Am besten gefiel es mir in einem Club direkt am Bahnhof, der von den Hannoveranern Baggi genannt wurde. Die Menschen dort waren zwar etwas abgehoben, dafür waren sie aber nach meinem Eindruck weniger aggressiv und nicht so betrunken. Das Gute an dieser Disko war, dass sie eine große Tanzfläche besaß.

Ich kam stets sehr früh in die Disko, so früh, dass kaum jemand da war. Als ich in die Baggi reinging, setze ich mich meistens kurz auf die Treppenstufe, den Blick auf die noch komplett leere Tanzfläche gerichtet, wartete auf einen guten Song und beobachtete währenddessen die bunten, tanzenden Lichter auf dem Boden. Manche Leute kamen hinein, setzten sich auf die Sofas, redeten irgendwas oder schauten ebenfalls auf die Tanzfläche. Ich sah in ihren Gesichtern genau dieses Gefühl, das ich immer hatte – den Drang tanzen zu wollen, aber nicht zu können.

Ich wartete, bis ein perfektes Lied zum Abgehen gespielt wurde, etwa Everybody von den Backstreet Boys, The Next Episode, Thrift Shop oder A Little Party Never Killed Nobody. Sobald ich den Anfang eines geilen Songs hörte, war es mir nicht mehr möglich, rumzusitzen. Die lauten Beats wanderten durch meinen ganzen Körper und veranlassten mich dazu, auf die Tanzfläche zu springen und meine brennende Lust aufs Tanzen zügellos auszuleben.

Es ging mir nicht darum, professionell zu tanzen, sodass andere es schön fanden, sondern Spaß zu haben, und das ging am besten, wenn ich meinen Körper so bewegte, wie er sich bewegen wollte.

Kurze Zeit später kamen Leute, die wahrscheinlich miteinander befreundet waren und machten meine Moves nach. Dann sprangen noch mehr Leute auf die Tanzfläche und schlossen sich uns an. Selbst die Gäste, die an den Bars herumstanden, begannen mich nachzumachen, sodass von einer Minute auf die nächste beinahe der ganze Club abging.

Einige Songs später war mein T-Shirt durchnässt und meine Beine konnten mich kaum noch halten, obwohl mein Geist noch so lange tanzen wollte, wie meine Lieblingslieder liefen. Zum Glück kam irgendwann ein Latino-Song, der überhaupt nicht mein Fall war. Es war also an der Zeit, die Tanzfläche zu verlassen, um mir ein kaltes Glas Wasser zu holen. Während andere an der Bar alkoholische Drinks bestellten, wollte ich nur kaltes Wasser haben, weil ich so verschwitzt und durstig war wie nach einem anstrengenden Workout. Um mich derartig ausgezeichnet zu fühlen, brauchte ich nicht mal einen einzigen Schluck Alkohol.

»Mit Kohlensäure bitte«, sagte ich dem Barkeeper.

»Das geht aufs Haus«, antwortete er und schob mir ein Glas Mineralwasser zu.

Dann begab ich mich an den Rand der Tanzfläche und beobachtete die anderen Gäste. Ich sah, wie viele grinsende Gesichter mich immer noch anstarrten. In diesem Moment versuchte ich nicht, etwas zwanghaft zu tun, um normal zu wirken. Ich ließ die Zeit einfach verstreichen und betrachtete das tanzende Gedränge, ohne mir Gedanken darüber zu machen, wie andere mein Verhalten interpretieren könnten.

Während ich dort stand, wurde ich von einigen Mädels angetanzt. Manche kamen so nah an mich ran und rieben ihren Arsch an mir. Doch ich blieb regungslos und schlürfte gelassen mein Mineralwasser. Nachdem ich mich ausgeruht hatte und die Tanzfläche überfüllt war, suchte ich mir einen Platz vor einer weniger vollen Bar, um Platz für meine Moves zu haben. Auf diese Weise fiel ich besonders auf, sodass es nicht möglich war, ein Lied durchzutanzen, ohne von jemandem angesprochen und bewertet zu werden.

»Du bist der coolste Typ, den ich je gesehen habe!«, rief mir jemand im Vorbeigehen zu. Immer wieder gab es Kommentare von anderen. Mal wurde ich bewundert, mal wurde mir unterstellt, Drogen genommen zu haben.

»Willst du auch so eine Droge wie ich?«, antwortete ich und reichte dem Typen aus meiner Tasche ein Airwaves-Kaugummi. Oder ich antwortete ironisch, aber freundlich: »Das ist der viral gegangene Universaldenker-Tanz, kennst du den nicht?«, und zeigte spontan, aber überzeugend irgendwelche ausgedachten Bewegungen.

Der Mut, mich meinen eigenen Ängsten zu stellen, verwandelte mich in diesen Nächten in eine Person, die fähig war, die Welt zu verändern und zum Vorbild für andere zu sein.

So überwand ich jedes Wochenende in den Sommerferien beim Tanzen meine Ängste, bis ich sie eines Tages komplett besiegt hatte.

An den Werktagen, wenn meine Lieblingsclubs geschlossen waren, kümmerte ich mich um meine Kurzsichtigkeit und kaufte mir eine weniger auffällige Brille mit rechteckigen Gläsern. Ich suchte nach einer Einzimmerwohnung oder einer Wohngemeinschaft in Hannover, um mir die etwas umständlichen fünfzigminütigen Reisen zur Uni zu ersparen. Ich bewarb mich für mindestens fünfzig Wohnungen – doch ich erhielt entweder gar keine Antwort oder einen standardisierten Ablehnungstext.

Auch auf meine Wohnungsanfrage beim Studentenwohnheim erhielt ich nie eine Antwort. Das war jedoch nicht überraschend: Viele Vermieter verlangten eine Mietbürgschaft und eine SCHUFA-Auskunft. Meine Mutter verdiente als Pflegeassistentin nicht viel und hatte unzählige Konsumschulden. Mein beantragtes BAföG war die einzige Sicherheit, die ich vorweisen konnte, doch anscheinend genügte das den Vermietern nicht.

Ich war enttäuscht. Meine Mutter dagegen freute sich, dass ich keine Wohnung bekam. Sie wollte unbedingt, dass ich bei ihr bleibe. Doch wie sich später herausstellen sollte, war das wahrscheinlich der entscheidendste Misserfolg, der mir zur finanziellen Freiheit verhalf…


Zukünftige Learnings vom Tanzen in Clubs:
  • Ich sollte meine Komfortzone verlassen und regelmäßig meine Ängste überwinden. Nur auf diese Weise werde ich mich persönlich weiterentwickeln können und verhindern, dass die Ängste noch größer werden.
  • Vorbilder sind mutige Menschen. Sie gehen voran, um den Ängstlichen zu zeigen, dass sie keine Angst zu haben brauchen.
  • Ich sollte Misserfolge als Weichen betrachten, die mich auf einen anderen Lebensweg umleiten, der – wie es sich in meinem Fall gezeigt hat – gut war.