Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

2011-2012: Liebesbrief an Clara. Meine erste Website. Pfeife rauchen.

2011. Ich brach die elfte Klasse ab, gründete kein eigenes Unternehmen und fand keine Ausbildung. Ich fühlte mich wie ein Versager. Das Aufhören mit zeitraubenden Computerspielen war schwierig, da sie einfach zu viel Spaß machten und mich von meinen Zukunftsängsten ablenkten. Die virtuelle Welt war der einzige Ort, an dem ich Erfolge erzielte und Fortschritte machte. Dennoch hatte ich das Verlangen, etwas Sinnvolles zu tun. Also erstellte ich meine erste Website namens Darksoft mit einem kostenlosen russischen Webanbieter, den mir Max empfohlen hatte, da sein Gaming-Clan diesen ebenfalls nutzte.

Das Content Management System hieß UCOZ und war recht einfach zu bedienen. Ich machte mich mit dem System vertraut, fing an, mir HTML, CSS und JavaScript beizubringen, um mein eigenes Design für die Website zu erstellen. Jede neue Kenntnis versuchte ich sofort umzusetzen, weshalb das Websitedesign einem ständigen Wandel unterlag. Mal war es dunkel, mal hell, mal bunt, mal eckig, mal rund. Die Website füllte sich mit meinen Tagebucheinträgen, Gedanken und erdachten Theorien aus verschiedenen Bereichen, sei es Fachinformatik, Philosophie, Psychologie oder Lyrik. Damit all meine Inhalte bei Google gefunden werden, brachte ich mir mit der Zeit Suchmaschinenoptimierung bei.

Natürlich musste ich weiter nach einer Ausbildung suchen. Meine Mutter hätte es mir niemals erlaubt, nichts für meine Zukunft zu tun. Bis zum Beginn des neuen Schuljahres konnte ich mich also nicht die komplette Zeit meinem neuen Hobby widmen, sondern musste weiter nach einer Ausbildung suchen. Da ich dies bis zum Beginn des neuen Schuljahres nicht schaffte, musste ich schließlich doch weiter die Schule besuchen. Ich suchte nach einer, die etwas mit Informatik oder generell mit Computern anbot. Die nächstbeste Wahl war ein technisches Gymnasium in Hildesheim, die Werner-von-Siemens-Schule.

Sie war eine halbe Stunde Busfahrt von zu Hause entfernt. Vom Bahnhof aus musste ich jedoch noch ein Stückchen zu Fuß gehen, was ich aber gar nicht so schlimm fand, weil mich die morgendlichen frischen Spaziergänge zur Schule von der Müdigkeit befreiten – zumindest solange, bis ich die Schule betrat.

Erstaunlicherweise traf ich in der Schulpause meinen Freund Alexey, der dort nach seiner Ausbildung ein Jahr für seine Fachhochschulreife durchziehen musste. Dieses Schuljahr verbrachte ich die großen Pausen manchmal mit ihm – aber auch mit zwei Mädchen, welche in dieser Schule eine Rarität waren. Das türkische Mädchen fühlte sich von den Jungs auf der Schule gemobbt, weshalb sie nach einem Jahr die Schule verließ. Das andere Mädchen, Clara, hatte blondes Haar und trug eine zu ihr passende, eckige Brille. Sie ging in die andere elfte Klasse und war eher unauffällig – nichts an ihr hätte den Jungs auf der Schule auf den ersten Blick den Kopf verdreht – doch sie war nett. In den Pausen verbrachten wir die meiste Zeit zusammen.

Clara war einige Male bei mir zu Hause, weil sie Hilfe bei den Hausaufgaben im Fach Informationsverarbeitung brauchte und ich wegen meinem Hobby darin einigermaßen gut war. Zufälligerweise entdeckte sie beim Eingeben des Buchstabens P in der Google-Suche meinen Suchverlauf, in dem auch pornografische Suchbegriffe zum Vorschein kamen. Während mich peinliches Unwohlsein ergriff, klickte sie ohne mit der Wimper zu zucken einfach einen Porno an. Eine Frau kniete vor einem Mann, während der Mann ihr seinen Penis oral hineinschob. Die Frau gab Würgeräusche von sich. Wir schauten uns nur kurz an und fingen an zu lachen. Wir hatten vergessen, die Lautsprecher leiser zu stellen, weil dieses komische Würggeräusch gar nicht nach einem Porno klang. Als meine Mutter in mein Zimmer hereinplatzte, schloss ich schnell das Browserfenster.

»Ok genug davon. Lass uns mit EDV weitermachen«, sagte ich und wir widmeten uns wieder dem eigentlichen Thema zu.

Am nächsten Tag saß ich mit Clara mal wieder in der Pausenhalle. Doch dieses Mal war es anders zwischen uns. Irgendwie kamen wir auf das Thema Toilette. Kurz, bevor die große Pause vorbei war, schauten wir uns kurz gegenseitig an.

»Sag mal Sascha, wollen wir zusammen auf die Toilette?«, sagte Clara mit einem sexuell angehauchten Unterton zu mir, während alle Schüler bereits von den Bänken aufstanden und in ihre Klassen gingen. Ich schaute sie weiter an, während mein Gehirn das Gesagte erstmal verarbeiten musste. So langsam leerten sich die Gänge.

»Klar, warum nicht? Hauptsache wir werden nicht von einem Lehrer erwischt. Ich folge dir!«, antwortete ich entschlossen, und dachte an das Kondom, das ich in meiner Tasche dabei hatte.

Wir schlichen uns in eine Frauentoilette im obersten Stock und sperrten uns in einer Kabine ein. Ich musste dringend pinkeln. Clara drehte sich um und schaute aus einem kleinen Fenster nach draußen, während ich das tat.

»Clara, willst du meinen Penis sehen?«

»Nein«, antwortete sie trocken, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden.

»Ok, schade. Dann lass uns zurück in den Unterricht.«, erwiderte ich und machte meinen Hosenstall zu. Wir schlichen uns wieder hinaus und gingen in unsere Klassen zurück. Ich war total verwirrt.

Beim Hineingehen in den Klassenraum schauten mich alle an, während meine Englischlehrerin mein Zuspätkommen notierte. Ich setzte mich neben André an einen der hintersten Tische, weil bei ihm gerade ein Platz frei war und der Sitzplan nicht immer eingehalten wurde. Es war zu weit weg von der Tafel, sodass ich wegen meiner Kurzsichtigkeit, die durch das viele am Computer Hocken entstand, außer dem wackelnden Po meiner Lehrerin, nichts erkennen konnte. Ich hatte zwar eine Brille in meiner Tasche, doch sie war mir zu peinlich für den Unterricht, weil sie wie eine Schutzbrille aus dem Chemieunterricht aussah. Deshalb kritzelte ich einfach gelangweilt Bildchen in mein Heft, was ich übrigens immer tat, wenn es im Unterricht zum Sterben langweilig war. Außerdem gab André flüsternd seine Sprüche ab, weil er wusste, dass er mich damit zum Lachen bringen würde. Es klappte wie immer, was dazu führte, dass mich die Lehrerin aus dem Klassenraum rausschmiss.

Vor dem Klassenraum dachte ich über mein Verhältnis zu Clara nach. Irgendwie war ich ein bisschen in sie verknallt. Außerdem hatte ich das Gefühl, sie würde mir eindeutige Signale schicken, dass sie auf mich stand.

Liebesbrief an Clara

2012. Eines Nachmittags beschloss ich, mein Glück bei Clara zu versuchen. Die meisten Schüler hatten schon längst Schluss und die leere Pausenhalle war von Stille durchzogen. Die wärmenden Sonnenstrahlen durchdrangen die großen Fenster der Halle, in der ich ganz aufgeregt darauf wartete, dass Clara in diesem Durchgang erschien. Je länger ich da stand, desto schneller schlug mein Herz. Der Schulgong erschreckte mich. Gleich musste sie kommen. Die ersten Schüler gingen an mir vorbei; wahrscheinlich nach Hause. Dann kam Clara.

»Hey, auf wen wartest du?«

»Eigentlich auf dich, ich wusste, dass du gleich Schluss hast«, erwiderte ich. »Ich habe da etwas für dich geschrieben«, führte ich fort.

Sie nahm den Brief in die Hand und wollte ihn öffnen.

»Warte! TOP SECRET! Öffne den besser zu Hause!«

»Na gut, ich muss auch schon los. Bis später.«, sagte Clara und schaute mich skeptisch an.

Diese Nacht konnte ich nicht einschlafen. Ich starrte im verdunkelten Zimmer an die Decke und dachte die ganze Zeit darüber nach, ob Clara schon den Brief mit meinem Liebesgeständnis gelesen hatte, und wenn ja, wie sie darauf reagiert hatte.

Am nächsten Tag in der Pause wartete ich auf sie auf der Bank und aß mein Pausenbrot. Als sie die Halle betrat, kam sie erst gar nicht zu mir; stattdessen stellte sie sich zu den anderen Nerds. Sie tat so, als würde sie mich gar nicht kennen. Ich erahnte schon, dass es nicht so ausgegangen war, wie ich es mir erhofft hatte. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie nur, dass sie kein Interesse an einer Beziehung hatte.

Seit diesem Brief hing sie nur mit anderen Jungs ab. Sie begrüßte mich nicht mal mehr. Alexey war nicht immer da, deshalb verbrachte ich seitdem die Pausen meist allein, während links und rechts verschiedenste Schülergruppen, die Nerds, die Coolen und die Normalos über irgendetwas ununterbrochen redeten.

Ich verstand mich mit allen diesen Gruppen gut, aber es fühlte sich trotzdem irgendwie so an, als wäre ich mit niemandem so richtig auf einer Wellenlänge, sodass sich daraus vielleicht eine Freundschaft entwickeln könnte. Ich versuchte trotzdem, möglichst nicht als Außenseiter aufzufallen. Dazu setzte ich mich nicht zu weit von anderen weg, um insbesondere keine Blicke des durch die Pausenhalle streifenden Aufsichtslehrers auf mich zu ziehen.

Meist tat ich so, als würde ich in einem Buch lesen und deshalb keine Zeit fürs Quatschen haben. Dabei glotzte ich nur in das geöffnete Mathebuch hinein. In Gedanken war ich aber bei Clara, die einige Meter von mir entfernt mit anderen Jungs über etwas sprach und von Zeit zu Zeit lachte. Es kam mir so vor, als würde sie über mich lachen.

Manchmal, wenn ich möglichst unauffällig meinen Kopf anhob, um sie kurz anzuschauen, trafen sich mein und ihr Blick. Dann drehte ich blitzschnell mein Gesicht wieder ins Buch. Manchmal traf sich auch mein Blick mit dem Blick des Aufsichtslehrers. Wahrscheinlich fiel ihm mein Außenseitersein auf. Also ging ich am besten aus der Schule heraus und drehte eine Runde um den Block, bis die Pause vorbei war.

Beim Bummeln durch die Stadt blieb ich vor dem Schaufenster eines Pfeifenladens stehen. Die hölzernen Rauchpfeifen erinnerten mich an Albert Einstein, der auch immer eine Pfeife geraucht hatte. Ich entschloss mich, in den Laden hineinzugehen. Beim Öffnen der Tür verriet eine Glocke, dass ich den Laden betreten hatte. Niemand war an der Kasse. Es war leise und es roch nach irgendeinem aromatischen Tabak.

Plötzlich kam ein alter Mann hinter der Kasse hervor.

»Suchen Sie nach einer guten Pfeife?« In dem Moment dachte ich, wie cool es eigentlich wäre, eine Pfeife zu rauchen und sich dabei wie Einstein zu fühlen.

»Sind Sie noch da?«, fragte er mich nochmal nach, während ich in Gedanken vertieft war.

»Ja, ich möchte erstmal eine günstige Pfeife haben. Ich bin noch ein Anfänger, was das angeht«, brach es spontan aus mir heraus.

Er empfahl mir eine schwarze Pfeife für fünfzig Euro. Dazu Filter, Pfeifenreiniger und Tabak mit Kirscharoma. Es tat mir in dem Moment irgendwie leid um so viel Taschengeld, aber die Erfahrung war es mir dann doch wert. Außerdem häufte sich das Taschengeld bei mir eh an, weil ich nicht wusste, wofür ich es ausgeben sollte – außer mal für eine Milchschnitte oder ein Käsebrötchen.

Am nächsten Schultag ging ich, statt während der großen Pause in der Halle rumzusitzen, vor die Schule, wo sich über achtzehnjährige Schüler und ein paar Lehrer aufhielten und rauchten. Aus meinem Rucksack holte ich meine neue, bereits mit Tabak gefüllte Pfeife heraus und zündete sie an. Nach einigen Zügen entstand eine riesige weiße Wolke, wie bei einem Atompilz, um mich herum und stellte alle anderen Rauchwolken in den Schatten. Damit zog ich die ganze Aufmerksamkeit der Raucher auf mich. Für eine kurze Zeit stand ich plötzlich im Mittelpunkt. Das gefiel mir irgendwie.

»Das ist ja cool, darf ich auch mal ziehen?«, fragte mich ein nebenstehender Raucher.

»Klar.«

Es war immer ein Leichtes für mich, mit verrückten Tätigkeiten die Aufmerksamkeit von anderen zu erlangen, wenn ich das wollte. Aber gute Freundschaften oder eine Liebesbeziehung aufzubauen und diese aufrechtzuerhalten, das klappte nicht in Deutschland.


Zukünftige Learnings aus der Zeit in der 11. Klasse:
  • Ich sollte niemals darauf warten, dass mir etwas, das mich interessiert, von der Schule beigebracht wird. Ich sollte es selbst erlernen!
  • Das Wissen darüber, wie man eine Website erstellt und aufbaut, wird mir später dabei helfen, finanziell frei zu werden.