Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

Euler-Lagrange-Gleichung und wie Du sie in 5 einfachen Schritten benutzt

Inhaltsverzeichnis
  1. Wirkungsfunktional
  2. Euler-Lagrange-Gleichung, um den Weg zu bestimmen
  3. Lagrange-Funktion als Zutat
  4. Euler-Lagrange-Gleichung nutzen

Betrachten wir ein Teilchen im Gravitationsfeld, das von der Höhe \(h_1 = 0\) zum Zeitpunkt \(t_1 = 0\) senkrecht nach oben geworfen wird. Es bewegt sich gerade entlang einer Raumrichtung und kommt zum Zeitpunkt \(t_2\) am Boden am selben Ort \(h_2 = 0\) an.

Parabel zwischen zwei Punkten im Höhe-Zeit-Diagramm
Ort-Zeit-Diagramm eines im Gravitationsfeld senkrecht nach oben geworfenen Teilchens.

In einem Ort-Zeit-Diagramm hat das Teilchen am Ort \(h_1\) zur Zeit \(t_1\) gestartet. Bezeichnen wir diesen Startpunkt mit \(\text{A}\). Und das Teilchen ist am Endpunkt \(B\) bei der Höhe \(h_2\) zur Zeit \(t_2\) angekommen.

Die Verbindung zwischen \(\text{A}\) und \(\text{B}\) muss bei diesem Problem eine Parabel sein. Doch warum ist dieser Weg \(h(t)\) eine Parabel und nicht irgendein anderer Verlauf? Warum entscheidet sich die Natur zwischen den Punkten \(\text{A}\) und \(\text{B}\) ausgerechnet für diesen Weg? Und nicht für irgendeinen anderen Weg wie in der Illustration 2 gezeigt?

Wirkungsfunktional

Um diese Frage beantworten zu können, brauchen wir eine Größe, die Wirkung genannt wird und mit einem \(S\) abgekürzt wird. Wir können jedem der denkbaren Wege eine Wirkung zuordnen. Die Wirkung \(S\) nimmt eine ganze Funktion \(h\) im Argument und gibt eine Zahl \(S[h]\) aus, nämlich den Wert der Wirkung für die entsprechende Funktion.

Ein derartiges mathematisches Objekt, das eine Funktion \(h\) frisst und eine Zahl herausspuckt, wird Funktional genannt. Da das Funktional die Wirkung herausspuckt, nennt man \(S[h]\) als Wirkungsfunktional. Um das Wirkungsfunktional von üblichen Funktionen zu unterscheiden, die eine Zahl im Argument annehmen, benutzen wir eckige Klammern.

Die Wirkung hat die Einheit Joulesekunde (\(\mathrm{Js}\)). Zum Beispiel könnte ein Weg den Wert \( 3.5 \, \mathrm{Js}\) haben, ein anderer Weg den Wert \( 5.6 \, \mathrm{Js}\) und der Parabelweg \( 2 \, \mathrm{Js}\).

Verschiedene Wege haben verschiedene Wirkung

So jetzt nochmal zurück zu der Frage: Warum ausgerechnet eine Parabel? Die Erfahrung zeigt:

Prinzip der extremalen Wirkung

Die Natur ist extremal.

Das heißt, wenn wir für alle möglichen Wege \(h_1(t)\), \(h_2(t)\), \(h_3(t)\) und so weiter zwischen \(A\) und \(B\) die entsprechende Wirkung ausrechnen, dann nimmt die Natur den Wert, der entweder maximal, minimal oder ein Sattelpunkt ist. Für einen dieser Wege entscheidet sich die Natur. Welchen der extremalen Wege die Natur konkret nimmt, hängt von dem betrachteten Problem ab.

Berechnete Wirkungen für verschiedene Wege \(h_i\) aufsteigend sortiert.

Im Fall eines im Gravitationsfeld nach oben geworfenen Teilchens hat der Weg die kleinste Wirkung. Da der parabelförmige Weg die kleinste Wirkung hat, entscheidet sich das Teilchen für diesen Weg im Ort-Zeit-Diagramm.

Doch wie berechnen wir konkret diese Werte der Wirkung? Dazu brauchen wir die Lagrange-Funktion \(L\). Sie hängt von der Zeit \(t\), von dem Funktionswert \(h(t)\) und von der Geschwindigkeit \( \dot{h}(t) \) ab. Die Lagrange-Funktion hat die Einheit der Energie, also Joule (\(\mathrm{J}\)).

Wenn wir die Lagrange-Funktion über die Zeit \(t\) zwischen \(t_1\) und \(t_2\) integrieren, bekommen wir eine Größe, die die Einheit Joulesekunde hat:

Das ist genau die Wirkung, die wir brauchen. Mit diesem Integral können wir konkret den Wert der Wirkung für jeden möglichen Weg \(h\) berechnen, wenn wir die Lagrange-Funktion konkret kennen.

Meistens verwendet man den Buchstaben \(q\) statt \(h\) und \( \dot{q} \) statt \( \dot{h} \) und nennt \(q\) generalisierte Koordinate und die Ableitung \( \dot{q} \) generalisierte Geschwindigkeit. Was mit „generalisiert“ gemeint ist, erfährst du in einer anderen Lektion. Für uns ist es erstmal nur wichtig zu wissen, dass \(q\) zum Beispiel eine Höhe über dem Erdboden sein kann oder zum Beispiel ein Winkel oder irgendeine andere Größe, die von der Zeit \(t\) abhängen kann.

Euler-Lagrange-Gleichung, um den Weg zu bestimmen

Es ist natürlich total umständlich das Integral für alle möglichen Wege auszurechnen und den Weg zu nehmen, der den kleinsten Wert des Integrals ergibt. Um uns diese riesige Aufgabe zu ersparen, kommt die sogenannte Euler-Lagrange-Gleichung ins Spiel:

Die Herleitung der Euler-Lagrange-Gleichung basiert auf der Definition der Wirkung 2 und dem Prinzip der extremalen Wirkung. In dieser Lektion wollen wir nicht wissen, wie man auf die Euler-Lagrange-Gleichung kommt, sondern, wie man mit ihr konkret den gesuchten Weg \(q(t)\) bestimmt.

Die Euler-Lagrange-Gleichung enthält die partielle Ableitung der Lagrange-Funktion \(L\) nach der genaralisierten Geschwindigkeit \(\dot{q}\): \(\frac{\partial L}{\partial \dot{q}}\). Diese Ableitung \(\frac{\partial L}{\partial \dot{q}}\) wird auch als generalisierter Impuls bezeichnet und mit \(p\) abgekürzt. Der generalisierte Impuls wird anschließend nach der Zeit \(t\) abgeleitet:

Der zweite Term in der Euler-Lagrange-Gleichung ist die Ableitung der Lagrange-Funktion \(L\) nach der generalisierten Koordinate \(q\): \(\frac{\partial L}{\partial q}\).

Wenn wir die Euler-Lagrange-Gleichung nach der Zeitableitung des Impulses umformen, können wir daraus ablesen, ob der Impuls erhalten ist.

Dazu muss die Zeitableitung des Impulses Null sein. Wir müssen also nur ausrechnen, ob \(\frac{\partial L}{\partial q}\) Null ergibt.

Lagrange-Funktion als Zutat

Die Lagrange-Funktion \(L\) ist eine skalare Funktion, die für ein beliebiges Problem nicht hergeleitet werden kann, sondern kann nur erraten oder motiviert werden. Wenn du denkst, du hast eine passende Lagrange-Funktion für ein Problem entdeckt, sei es aus der Quantenmechanik, aus der klassischen Mechanik oder aus der Relativitätstheorie, dann kannst du mithilfe der Euler-Lagrange-Gleichung leicht überprüfen, ob die gefundene Lagrange-Funktion dein Problem richtig beschreibt oder nicht.

In der klassischen Mechanik ist die Lagrange-Funktion die Differenz zwischen der kinetischen Energie \(W_{\text{kin}} \) und der potentiellen Energie \(W_{\text{pot}} \) eines Teilchens:

Wenn wir also die kinetische und die potentielle Energie eines Teilchens kennen, können wir daraus die Lagrange-Funktion bestimmen und diese dann in der Euler-Lagrange-Gleichung 3 nutzen.

Euler-Lagrange-Gleichung nutzen

Schauen wir anhand unseres Beispiels in der Einleitung an, nämlich wie wir die Parabel mithilfe der Lagrange-Funktion und der Euler-Lagrange-Gleichung berechnen können. Dazu musst du stets 5 folgende Schritte durchführen:

Schritt #1: Generalisierte Koordinaten festlegen

Als erstes müssen wir wissen, was \(q\) und \(\dot{q}\) konkret repräsentieren. In unserem Beispiel ist \(q = h \) und \(\dot{q} = v\), wobei \(v(t)\) die Geschwindigkeit des geworfenen Teilchens ist. Geschwindigkeit ist hier nichts anderes als die Zeitableitung der Wegfunktion, also \(\dot{q} = \dot{h}\).

Schritt #2: Lagrange-Funktion aufstellen

Als nächstes müssen wir die Lagrange-Funktion 6 in Abhängigkeit von \(h\) und \(\dot{h}\) konkret angeben. Die kinetische Energie \(W_{\text{kin}}(t, h, \dot{h})\) des geworfenen Teilchens ist gegeben durch:

Die potentielle Energie \(W_{\text{pot}}(t, h, \dot{h})\) des Teilchens im Gravitationsfeld ist gegeben durch:

Damit lautet die Lagrange-Funktion \(L(t, h, \dot{h}) \) für unser Problem:

Schritt #3: Ableitungen in der Euler-Lagrange-Gleichung berechnen

Nun können wir die aufgestellte Lagrange-Funktion 9 benutzen, um die in der Euler-Lagrange-Gleichung 3 vorkommenden Ableitungen auszurechnen. Die Euler-Lagrange-Gleichung schreiben wir als erstes mithilfe von \(h\) und \(\dot{h}\):

  • Leite die Lagrange-Funktion 9 nach \(h\) ab:

  • Leite die Lagrange-Funktion 9 nach \(\dot{h}\) ab:

  • Den Impuls \( \frac{\partial L}{\partial \dot{h}} = m \, \dot{h} \) nach der Zeit \(t\) ableiten:

Setzen wir die berechneten Ableitungen in die Euler-Lagrange-Gleichung ein:

Kürzen wir die Masse \(m\) und bringen \(\ddot{h}\) auf die andere Seite:

Was wir herausbekommen haben, ist eine Differentialgleichung für die gesuchte Funktion \(h\). Hier siehst du den Sinn der Euler-Lagrange-Gleichung! Sie verrät uns, welche Differentialgleichung wir lösen müssen, um den zeitlichen Verlauf von \(h\) herauszufinden.

Beachte, dass unser Beispiel ein eindimensionales Problem ist und wir daher nur eine Differentialgleichung herausbekommen haben. Bei komplexeren mehrdimensionalen Problemen bekommen wir mehrere Differentialgleichungen heraus.

Schritt #4: Aufgestellte Differentialgleichung lösen

Jetzt müssen wir die mithilfe der Euler-Lagrange-Gleichung aufgestellte Differentialgleichung 15 lösen. Dazu integrieren wir beide Seiten über die Zeit \(t\):

Dann bekommen wir:

Es ergeben sich zwei Integrationskonstanten. Diese fassen wir einfach zu einer Integrationskonstante \(C_1\) zusammen. Dann integrieren wir beide Seiten nochmal über die Zeit, um die Zeitableitung von \(h\) zu eliminieren:

Dann bekommen wir:

Hierbei ist \(C_2\) eine zusammengefasste Integrationskonstante. Nun haben wir die aufgestellte Differentialgleichung für \(h\) gelöst!

Schritt #5: Randbedingungen einsetzen

Als letzten Schritt müssen wir die Nebenbedingungen des betrachteten Problems in die Lösung der Differentialgleichung einsetzen und die unbekannten Konstanten \(C_1\) und \(C_2\) bestimmen.

In unserem Problem haben wir das Teilchen zum Zeitpunkt \(t_1 = 0\) von der Höhe \(h_1 = 0\) abgeworfen. Die erste Nebenbedingung lautet also: \(h(0) = 0\). Setzen wir sie in das Ergebnis 19 ein:

Damit haben wir die Integrationskonstante \(C_2 = 0\) herausgefunden und können sie in die DGL 19 einsetzen:

Um die Konstante \(C_1\) herauszufinden, brauchen wir eine zweite Nebenbedingung. Wir wissen, dass der Verlauf von \( h(t) \) im Punkt \(\text{B}\) endet. Der Punkt \(\text{B}\) entspricht dem Zeitpunkt \(t_2 \) zu dem das Teilchen am Boden bei \(h_2 = 0 \) gelandet ist. Die zweite Nebenbedingung lautet also: \(h(t_2) = 0 \). Setze sie in die DGL ein:

Setze \(C_1\) in die DGL 21 ein:

Wenn du das Ergebnis im Ort-Zeit-Diagramm plottest, bekommst du eine Parabel. Die Euler-Lagrange-Gleichung liefert also genau den Verlauf, den wir erwartet haben!

Die Euler-Lagrange-Gleichung hilft uns Differentialgleichungen für eine gesuchte Funktion zwischen zwei festen Punkten \(\text{A}\) und \(\text{B}\) aufzustellen. Die Lösung dieser Differentialgleichungen ergibt den genauen Verlauf der Funktion, den die Natur erlaubt.