Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

Differentialgleichungen (DGL): Grundlagen, die jeder Physiker kennen sollte

Inhaltsverzeichnis
  1. Was ist überhaupt eine Differentialgleichung? Hier lernst du, wie du eine DGL erkennen kannst und bei welchen Problemen Differentialgleichungen auftreten.
  2. Unterschiedliche Schreibweise einer Differentialgleichung Hier lernst du die Leibniz-, Newton- und Lagrange-Notationen einer Differentialgleichung kennen.
  3. Was soll ich mit einer Differentialgleichung tun? Hier lernst du, was es bedeutet eine DGL zu lösen und ob das überhaupt immer möglich ist.
  4. Eine Differentialgleichung erkennen Was zeichnet eine DGL aus und wie erkenne ich, ob ich eine DGL vor mir habe? Das ist der erste Schritt, den du vor dem Lösen einer DGL machen musst!
  5. Klassifizierung: Welche Differentialgleichung-Typen gibt es? Hier lernst du, wie du erkennen kannst, wann eine DGL gewöhnlich, partiell, linear, homogen, inhomogene ist und von welcher Ordnung sie ist.
  6. Nebenbedingungen: Rand- und Anfangsbedingungen Hier lernst du, warum Nebenbedingungen zu einer DGL wichtig sind und was der Unterschied zwischen Rand- und Anfangsbedingungen ist.

Wenn du vorhast, dich zum Beispiel...

  • mit der atomaren Welt,

  • mit der Bewegung der Planeten,

  • mit chemischen Prozessen,

  • mit elektrischen Schaltungen,

  • mit Wettervorhersagen

  • oder mit der Ausbreitung eines Virus zu beschäftigen,

dann wirst du irgendwann auf Differentialgleichungen stoßen.

Sobald du verstanden hast, wie Differentialgleichungen funktionieren und wie du sie lösen kannst, so wirst du in der Lage sein, in die Vergangenheit und in die Zukunft zu sehen.

Was ist überhaupt eine Differentialgleichung?

Hooke-Gesetz - Auslenkung der Feder + Rückstellkraft Visier das Bild an!
Eine Masse an der Feder erfährt eine rücktreibende Kraft, wenn die Feder ausgelenkt wird.

Schauen wir uns als ein einfaches Beispiel das Hooke-Gesetz an:

Dieses Gesetz beschreibt die rücktreibende Kraft \(F\) auf eine Masse, die an einer Feder dranhängt. Diese Kraft erfährt die Masse, wenn du sie um die Strecke \(y\) aus der Ruhelage auslenkst. \(D\) ist hierbei ein konstanter Koeffizient, der beschreibt, wie schwer es ist, die Feder zu dehnen oder zu stauchen.

Die Masse \(m\) ist in der Kraft versteckt. Wir können die Kraft nach dem zweiten Newton-Axiom als \(m \, a \) schreiben:

Hierbei ist \(a\) die Beschleunigung, die die Masse erfährt, wenn sie um \(y\) aus der Ruhelage ausgelenkt ist. Sobald du an der Masse ziehst und sie loslässt, wird die Feder anfangen, hin und her zu schwingen. Ohne Reibung, wie in diesem Fall, wird sie niemals zum Stillstand kommen.

Während die Masse schwingt, ändert sich natürlich die Auslenkung \(y\). Die Auslenkung ist also abhängig von der Zeit \(t\). Damit ist auch die Beschleunigung \(a\) abhängig von der Zeit. Die Masse bleibt natürlich zu jedem Zeitpunkt gleich, egal wie stark die Feder ausgelenkt ist. Das gilt in guter Näherung auch für die Federkonstante \(D\):

Wenn wir nur noch \(m\) auf die andere Seite bringen, können wir mit dieser Gleichung zu jeder Auslenkung \(y\) die Beschleunigung berechnen, die die Masse erfährt:

Doch was ist, wenn wir an der Frage interessiert sind:

Bei welcher Auslenkung \(y\) wird die Feder nach 24 Sekunden sein?

Um eine derartige Zukunftsfrage beantworten zu können, müssen wir wissen, wie genau \(y\) von der Zeit \(t\) abhängt. Wir wissen eben nur, DASS \(y\) von der Zeit abhängt, aber nicht WIE.

Und genau bei solchen Zukunftsfragen kommen Differentialgleichungen ins Spiel. Wir können leicht zeigen, dass die Beschleunigung \(a\) die zweite Zeitableitung des zurückgelegten Wegs ist, also in unserem Fall ist es die zweite Ableitung von \(y\) nach der Zeit \(t\):

Und schon haben wir eine Differentialgleichung für die Auslenkung \(y\) aufgestellt! Eine Differentialgleichung (kurz: DGL) erkennst du daran, dass in ihr neben der gesuchten Funktion \(y(t)\) auch Ableitungen dieser Funktion vorkommen. Wie in diesem Fall die zweite Ableitung von \(y\) nach der Zeit \(t\).

Was ist eine Differentialgleichung?

Eine Differentialgleichung ist eine Gleichung, die eine gesuchte Funktion \(y\) und Ableitungen dieser Funktion enthält.

Unterschiedliche Schreibweise einer Differentialgleichung

Du wirst sicherlich vielen Schreibweisen einer DGL begegnen. Wir haben unsere aufgestellte DGL 5 in einer sogenannten Leibniz-Notation aufgeschrieben:

Dieser wirst du oft in der Physik begegnen. Wir können sie auch etwas kompakter aufschreiben, ohne die Zeitabhängigkeit zu erwähnen:

Wenn die Funktion \(y\) nur von der Zeit \(t\) abhängt, dann können wir die Zeitableitung noch kompakter mit der sogenannten Newton-Notation aufschreiben. Eine Zeitableitung von \(y\) entspricht einem Punkt über dem \(y\). Bei zwei Ableitungen wie in unserem Fall wären es also zwei Punkte:

Offensichtlich ist diese Schreibweise eher ungeeignet, wenn du die zehnte Ableitung betrachten willst...

Eine weitere Notation, der du eher in der Mathematik begegnen wirst, ist die Lagrange-Notation. Hier benutzen wir Striche für die Ableitungen. Für zweite Ableitung also zwei Striche:

Bei der Lagrange-Notation sollte es aus dem Zusammenhang klar sein, nach welcher Variablen abgeleitet wird. Wenn es nicht klar ist, dann solltest du explizit ausschreiben, von welcher Variablen \(y\) abhängt:

Jede Schreibweise hat ihre Vor- und Nachteile. Denk jedoch dran, dass das nur verschiedene Schreibweisen sind, die dieselbe Physik beschreiben. Auch das Umformen und Umbenennen ändert nichts an der Physik unter der Haube dieser DGL. Wir könnten die Auslenkung \(y\) genauso \(x\) nennen:

Was soll ich mit einer Differentialgleichung tun?

Um unsere ursprüngliche Frage:

Bei welcher Auslenkung \(y\) wird die Feder nach 24 Sekunden sein?

beantworten zu können, müssen wir die aufgestellte Differentialgleichung lösen. Eine DGL zu lösen, bedeutet, dass du herausfinden musst, wie die gesuchte Funktion \(y\) genau von der Variablen \(t\) abhängt:

Für einfache Differentialgleichungen, wie die der schwingenden Masse, gibt es Lösungsmethoden, die du anwenden kannst, um die gesuchte Funktion \(y(t)\) herauszufinden. Bedenke jedoch, dass es kein allgemeines Rezept gibt, wie du eine beliebige Differentialgleichung lösen kannst. Für manche DGL gibt es nicht mal eine analytische Lösung! Mit 'nicht analytisch' ist gemeint, dass du keine konkrete Gleichung für die Funktion \(y(t)\) aufschreiben kannst:

Die einzige Möglichkeit ist in diesem Fall die DGL am Computer numerisch zu lösen. Dann spuckt der Computer eben keine konkrete Formel heraus, sondern Datenpunkte, die du in einem Diagramm darstellen und daran das Verhalten der DGL untersuchen kannst.

Eine Differentialgleichung erkennen

Sobald du auf eine Differentialgleichung triffst, ist es als erstes wichtig herauszufinden,

  • was die gesuchte Funktion ist

  • und von welchen Variablen sie abhängt.

Bei unserer DGL 5 der schwingenden Masse heißt die gesuchte Funktion \(y\) und sie hängt von der Variablen \(t\) ab:

Schau dir mal als Beispiel die Wellengleichung an, die das elektrischer Feld einer elektromagnetischen Welle beschreibt, die sich mit der Lichtgeschwindigkeit \(c\) ausbreitet:

Was ist bei dieser DGL die gesuchte Funktion? Es ist die Funktion \(E\), weil hier ihre Ableitungen vorkommen. Von welchen Variablen hängt die Funktion \(E\) ab? Die Abhängigkeit ist hier zwar nicht explizit angegeben, aber an dem geschwungenen Del-Zeichen \(\partial\) kannst du sofort sagen, dass \(E\) von mehreren Variablen abhängen muss. Für uns ist es erstmal unwichtig, was ein geschwungenes \(\partial\) von einem normalen \(\text{d}\) unterscheidet. An den Ableitungen kannst du sofort sehen, dass \(E\) von \(x\), \(y\), \(z\) und von \(t\) abhängen muss. Also von insgesamt vier Variablen: \(E(t,x,y,z)\).

Schauen wir uns ein etwas komplexeres Beispiel an. Dieses System von Differentialgleichungen beschreibt, wie sich eine Masse in einem Gravitationsfeld bewegt:

Du hast hier ein sogenanntes gekoppeltes Differentialgleichungssystem vor dir. In diesem Fall reicht eine einzige Differentialgleichung nicht aus, um die Bewegung einer Masse im Gravitationsfeld zu beschreiben. Hier werden sogar drei Funktionen gesucht, nämlich die Bahnkurven \(x\), \(y\) und \(z\), die eine Position der Masse im dreidimensionalen Raum bestimmen. Jede Funktion beschreibt die Bewegung in eine der drei Raumrichtungen. Und alle drei Funktionen hängen nur von der Zeit \(t\) ab.

Was bedeutet es überhaupt, wenn wir gekoppelte Differentialgleichungen haben? Mit 'gekoppelt' ist gemeint, dass zum Beispiel in der ersten DGL für die Funktion \(x\), auch die Funktion \(y\) vorkommt. Wir können also nicht einfach die erste DGL unabhängig von der zweiten DGL lösen, weil die zweite DGL uns verrät, wie sich das \(y\) in der ersten DGL verhält. In allen drei DGL kommen die Funktionen \(x\), \(y\) und \(z\) vor, das heiß, wir müssen alle drei DGL gleichzeitig lösen.

Klassifizierung: Welche Differentialgleichung-Typen gibt es?

Es gibt unterschiedlichste Differentialgleichungen da draußen. Beim genauen Hinsehen, wirst du aber feststellen, dass einige Differentialgleichungen Ähnlichkeiten untereinander aufweisen.

Differentialgleichungen - Klassifizierung
Unterschiedliche Typen von Differentialgleichungen (Klassifizierung).

Nachdem du herausgefunden hast, was die gesuchte Funktion ist und von welchen Variablen sie abhängt, solltest du einige weitere grundlegende Fragen beantworten, um die DGL besser kennenzulernen:

  • Ist die DGL gewöhnlich oder partiell?
    Partielle Differentialgleichungen beschreiben mehrdimensionale Probleme und sind deutlich komplexer.

  • Von welcher Ordnung ist die DGL?
    DGL 1. Ordnung sind meistens leicht zu lösen und beschreiben beispielsweise exponentielles Verhalten, wie den radioaktiven Zerfall oder das Abkühlen einer Flüssigkeit. Differentialgleichungen 2. Ordnung dagegen sind etwas komplexer und kommen auch oft in der Natur vor. Die Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik, die Schrödinger-Gleichung der Quantenmechanik - das sind alles Differentialgleichungen zweiter Ordnung. Erst ab der 2. Ordnung kann eine DGL eine Schwingung beschreiben.

  • Ist die DGL linear oder nicht-linear?
    Für lineare DGL gilt das Superpositionsprinzip, was unglaublich nützlich ist, beispielsweise bei der Beschreibung elektromagnetischer Phänomene. Nicht-lineare DGL sind deutlich komplexer und kommen beispielsweise in der nicht-linearen Elektronik vor bei der Beschreibung von supraleitenden Strömen. Außerdem kann nur bei nicht-linearen Differentialgleichungen ab der dritten Ordnung Chaos auftreten. Sobald du auf eine nicht-lineare DGL triffst, kannst du eigentlich direkt deinen Stift und Papier wegschmeißen und die DGL direkt am Computer numerisch verarzten. Die meisten nicht-linearen DGL lassen sich nicht mal analytisch lösen!

  • Ist die lineare DGL homogen oder inhomogen?
    Homogene lineare DGL sind einfacher als die inhomogenen und beschreiben beispielsweise eine ungestörte Schwingung, während inhomogene DGL in der Lage sind auch von außen gestörte Schwingungen zu beschreiben.

Nach dem du eine DGL klassifiziert hast, kannst du dann gezielt eine passende Lösungsmethode anwenden, um die DGL zu lösen. Selbst, wenn es keine konkrete Lösungsmethode gibt, weißt du anhand der Klassifizierung, wie komplex eine DGL überhaupt ist.

Ist eine DGL gewöhnlich oder partiell?

Unsere DGL für die schwingende Masse:

ist eine gewöhnliche Differentialgleichung. Gewöhnlich bedeutet, dass die gesuchte Funktion \(y(t)\) nur von einer einzigen Variablen abhängt. In diesem Fall von der Zeit \(t\).

Was ist eine gewöhnliche Differentialgleichung?

Bei diesem Typ der DGL hängt die gesuchte Funktion von einer einzigen Variable ab.

Die Wellengleichung dagegen:

ist eine partielle Differentialgleichung. 'Partiell' bedeutet, dass die gesuchte Funktion \(E\) von mindestens zwei Variablen abhängt und es kommen Ableitungen nach diesen Variablen vor. In diesem Fall hängt \(E\) von vier Variablen: \(t\), \(x\), \(y\) und \(z\) ab. Und in der DGL tauchen auch Ableitungen nach diesen Variablen auf.

Was ist eine partielle Differentialgleichung?

Bei diesem Typ der DGL hängt die gesuchte Funktion von mindestens zwei Variablen ab und es kommen Ableitungen der Funktion nach mindestens zwei dieser Variablen vor.

Von welcher Ordnung ist eine DGL?

Weiterhin ist unsere DGL für die schwingende Masse eine Differentialgleichung 2. Ordnung. Die Ordnung einer DGL ist die höchste vorkommende Ableitung der gesuchten Funktion:

Da in unserer DGL die zweite Ableitung die höchste und sogar die einzige vorkommende Ableitung von \(y\) ist, ist das daher die DGL 2. Ordnung.

DGL höherer Ordnung in DGL's 1. Ordnung umwandeln
Es ist immer möglich eine DGL höherer Ordnung in ein System von Differentialgleichungen 1. Ordnung umzuwandeln. Manchmal ist dieses Vorgehen beim Lösen der DGL hilfreich. Wir können beispielsweise diese DGL 2. Ordnung in zwei gekoppelte Differentialgleichungen 1. Ordnung umwandeln. Dazu müssen wir lediglich eine neue Funktion einführen, nennen wir sie \(v\) und definieren sie als die erste Zeitableitung von \(y\):

Das ist auch schon eine der beiden DGL 1. Ordnung. Jetzt müssen wir nur noch die zweite Ableitung in der ursprünglichen DGL mit der Ableitung von \(v\) ausdrücken. Dann bekommen wir die zweite DGL 1. Ordnung:

Die beiden sind gekoppelte DGL, die wir gleichzeitig lösen müssen. Sie sind gekoppelt, weil \(y\) in der ersten DGL vorkommt und \(v\) in der zweiten DGL. Diese Vorgehensweise kannst du immer anwenden, wenn du die Ordnung einer DGL reduzieren willst. Der Preis, den du dafür bezahlen musst, sind zusätzliche gekoppelte Differentialgleichungen.

Die Differentialgleichung für das Zerfallsgesetz:

ist dagegen eine Differentialgleichung 1. Ordnung, weil die höchste vorkommende Ableitung der gesuchten Funktion \(N(t)\) die erste Ableitung ist.

Was ist eine Differentialgleichung n-ter Ordnung?

Eine DGL heißt DGL n-ter Ordnung, wenn in der DGL die n-te Ableitung die höchste ist, die in der DGL vorkommt.

Ist eine DGL linear oder nicht-linear?

Unsere DGL für die schwingende Masse ist außerdem linear:

Linear bedeutet, dass die gesuchte Funktion und ihre Ableitungen nur Potenzen von 1 enthalten und es kommen keine Produkte von Ableitungen mit der Funktion vor, wie \(y^2\) oder \(y \, \frac{\text{d}^2y}{\text{d}t^2} \). Es kommen auch keine verketteten Funktionen, wie \(\sin(y(t))\) oder Wurzel aus \(y(t)\) vor. Wenn das der Fall ist, dann sagen wir, dass eine DGL linear ist.

'hoch zwei' nicht verwechseln!

Das 'hoch zwei' in der zweiten Ableitung in der Leibniz-Notation \(\frac{\text{d}^{\class{blue}{2}}y}{\text{d}t^{\class{blue}{2}}}\) ist keine Potenz der Ableitung, sondern lediglich eine Schreibweise dafür, dass es sich um die zweite Ableitung handelt.

Das Zerfallsgesetz ist auch linear:

Wie sieht es mit der Wellengleichung aus? Sie ist auch linear:

Was ist eine lineare Differentialgleichung?

Eine DGL ist linear, wenn die gesuchte Funktion und ihre Ableitungen nur mit der Potenz 1 auftauchen und es kommen keine Produkte der gesuchten Funktion mit ihren Ableitungen vor und auch keine Verkettungen mit der gesuchten Funktion.

Das gekoppelte DGL-System für die Bewegung einer Masse im Gravitationsfeld ist dagegen nicht-linear:

Hier kommen die gesuchten Funktion \(x(t)\), \(y(t)\) und \(z(t)\) quadriert vor.

Ist eine lineare DGL homogen oder inhomogen?

Bei den nächsten Typen von Differentialgleichungen sind die Koeffizienten entscheidend, die mit der gesuchten Funktion und ihren Ableitungen multipliziert sind. Bei einigen Lösungsmethoden ist es wichtig zu unterscheiden zwischen...

  • konstanten Koeffizienten - diese HÄNGEN NICHT von den Variablen ab, von denen auch die gesuchte Funktion abhängt.

  • nicht-konstanten Koeffizienten - diese HÄNGEN von den Variablen ab, von denen die gesuchte Funktion abhängt.

Ein Koeffizient muss nicht unbedingt mit der gesuchten Funktion oder ihrer Ableitung multipliziert sein. Er kann auch allein stehen! In diesem Fall bezeichnen wir den alleinstehenden Koeffizienten als Störfunktion.

In unserer DGL für die schwingende Masse gibt es einen interessanten Koeffizienten, der mit der gesuchten Funktion \(y\) multipliziert ist, nämlich \(D/m\). Genau genommen, steht vor der zweiten Ableitung auch ein Koeffizient, nämlich 1 und der alleinstehende Koeffizient, also die Störfunktion, ist hier 0. Sie gibt es also quasi nicht:

Was ist eine homogene lineare Differentialgleichung?

Wenn die Störfunktion Null ist, dann nennen wir die lineare Differentialgleichung homogen.

Die Wellengleichung ist auch homogen:

Denn hier gibt es auch keinen alleinstehenden Koeffizienten, die Störfunktion ist Null.

Die DGL für eine erzwungene Schwingung ist dagegen inhomogen:

Hier entspricht die externe Kraft \(F(t)\) der Störfunktion. Wie du siehst, steht sie ganz allein dar, ohne mit der gesuchten Funktion \(y(t)\) oder ihren Ableitungen multipliziert zu sein. Außerdem ist die Störfunktion \(F(t)\) zeitabhängig, sie ist also ein nicht-konstanter Koeffizient.

Nebenbedingungen: Rand- und Anfangsbedingungen

Eine Differentialgleichung allein, ist nicht ausreichend, um ein physikalisches System eindeutig zu beschreiben. Die Lösung einer Differentialgleichung beschreibt ganz viele mögliche Systeme, die ein bestimmtes Verhalten aufweisen. Zum Beispiel die Lösung des Zerfallsgesetzes beschreibt ein exponentielles Verhalten. Das Wissen über ein exponentielles Verhalten reicht aber nicht aus, um konkret sagen zu können, wie viele Atomkerne nach 10 Sekunden zerfallen sind.

Genau deshalb hat jede DGL meistens auch sogenannte Nebenbedingungen. Das sind zusätzliche Informationen, die zu einer DGL gegeben sein müssen, um die Lösung der DGL konkret festzulegen. Die Anzahl dafür notwendiger Nebenbedingungen hängt davon ab, von welcher Ordnung eine DGL ist.

Für eine DGL 1. Ordnung ist eine einzige Nebenbedingung notwendig:

  • Ein Funktionswert der gesuchten Funktion: \(y(t)\).

Für das Zerfallsgesetz sollte beispielsweise bekannt sein, wie viele noch nicht zerfallene Atomkerne \(N\) zum Zeitpunkt \(t = 0 \) da waren. Zum Beispiel 1000 Atomkerne: \(N(0) = 1000 \).

Für eine DGL 2. Ordnung sind zwei Nebenbedingungen notwendig:

  • Ein Funktionswert der gesuchten Funktion \(y(t)\) und

  • zum Beispiel ein Funktionswert der ersten Ableitung \(y'(t)\)

Für die schwingende Masse sollte beispielsweise bekannt sein, welche Auslenkung \(y\) die Feder zum Zeitpunkt \(t = 0 \) hatte: \(y(0) = 1 \).

Für eine DGL 3. Ordnung wären dann drei Nebenbedingungen notwendig, um ein System eindeutig zu beschreiben:

  • Ein Funktionswert der gesuchten Funktion \(y(t)\),

  • ein Funktionswert z.B. ihrer ersten Ableitung \(y'(t)\) und

  • ein Funktionswert z.B. ihrer zweiten Ableitung\(y''(t)\).

Für eine DGL 4. Ordnung wären dann vier Nebenbedingungen notwendig und so weiter...

Wie kann 'eine typische' DGL eindeutig festlgelegt werden?

Um die Lösung einer DGL \(n\)-ter Ordnung eindeutig festzulegen, sind \(n\) Nebenbedingungen notwendig.

Meistens wirst du auf sogenannte Anfangsbedingungen und Randbedingungen stoßen. Das sind auch alles nur Namen für Nebenbedingungen, die darüber aussagen, welche Art von Information du über das System hast.

Anfangsbedingungen und Randbedingungen im Vergleich
Randbedingungen und Anfangsbedingungen im Vergleich.

Manchmal weißt du beispielsweise, wie das System zu einem einzigen bestimmten Zeitpunkt gegeben war. Das könnte der Anfangszeitpunkt sein, zu dem du eine schwingende Masse ausgelenkt und losgelassen hast. In so einem Fall sprechen wir von Anfangsbedingungen. Du legst zu einem bestimmten Zeitpunkt, zum Beispiel zum Zeitpunkt \(t=0\) fest, wie die Auslenkung \(y(0)\) war. Und da wir zwei Nebenbedingungen brauchen, legst du auch fest, welche Ableitung \(y'(0)\) (also die Geschwindigkeit) zu diesem gleichen Zeitpunkt \(t = 0\) war.

Was ist ein Anfangswertproblem?

Eine DGL zusammen mit Anfangsbedingungen bezeichnen wir als Anfangswertproblem. Lösen wir das Anfangswertproblem, so können wir mit der Lösung das zukünftige Verhalten eines Systems vorhersagen.

Manchmal hast du Pech und weißt nicht, welche Geschwindigkeit die schwingende Masse zu einem bestimmten Anfangszeitpunkt \(t = 0\) hatte. Du kennst also nicht die Ableitung von \(y'(0)\) zum Zeitpunkt \(t = 0\), zu dem du auch die Auslenkung kennst. Du brauchst aber dringend zwei Nebenbedingungen, sonst kannst du damit keine konkreten Zahlen ausrechnen... Aber eventuell weißt du, dass beispielsweise nach \( t = 6 \, \text{s}\) die schwingende Masse im maximal ausgelenkten Zustand war. Du kennst also die Auslenkung \(y(6)\).

Wenn du Nebenbedingungen, wie \(y(t_1)\) und \(y(t_2)\), gegeben hast, die zu zwei verschiedenen Zeitpunkten \(t_1\) und \(t_2\) das System beschreiben, dann sprechen wir von Randbedingungen.

Was ist ein Randwertproblem?

Eine DGL zusammen mit zwei Randbedingungen bezeichnen wir als Randwertproblem. Lösen wir das Randwertproblem, so können wir mit der Lösung vorhersagen, wie sich das System innerhalb dieser Randwerte verhält.

Das mit dem 'Funktionswert an zwei verschiedenen Zeitpunkten' war natürlich nur ein Beispiel. Statt der Zeit könnte es eine beliebige Variable sein, die das System, meistens an den Rändern, festlegt. Zu verschiedenen Zeiten, zu verschiedenen Orten, zu verschiedenen Winkeln und so weiter.

Nun hast du alle notwendigen Grundlagen zu den Differentialgleichungen kennengelernt. In der nächsten Lektion schauen wir uns konkret an, wie wir Differentialgleichungen mit verschiedenen Methoden lösen können.