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Abgabe der Physik-Masterarbeit

7. April 2023. Es war ein sonniger Apriltag am Vormittag. Ich schlenderte zur Druckerei am Steintor, meinen USB-Stick in der Hand, auf dem sich mein letzter Schlüssel zur endgültigen Freiheit befand: Die fertige Masterarbeit. Als ich den Laden betrat, begrüßte mich ein Mann hinter dem Tresen.

»Du siehst aus wie ein Student. Möchtest du eine Doktorarbeit drucken?«

»Erstmal die Masterarbeit«, antwortete ich grinsend und übergab ihm meinen USB-Stick. »Zwei Exemplare hätte ich gern«, führte ich fort und zeigte mit dem Finger auf die PDF-Datei auf dem zu mir gedrehten Bildschirm.

»Das wären dann 80 Euro«, erwiderte er und gab etwas auf der Tastatur ein.

Ich legte ihm zwei fünfzig Euro Scheine auf den Tresen, die ich vorhin abgehoben hatte, denn ich wusste nicht, ob der Laden Kartenzahlung akzeptierte.

»Vielen Dank. In zwei Stunden kannst du die Exemplare abholen.«

»Alles klar. Dankeschön. Bis später!«, antwortete ich und ging zu Fuß in die Conti Mensa, die achthundert Meter entfernt war.

In der Mensa erstreckte sich mal wieder eine riesige Menschenschlange. Alle wollten Schnitzel mit Pommes. Auf der einen Seite gut für mich, weil ich an den Wartenden vorbei, direkt zum vegetarischen Linsen Curry gehen konnte. Auf der anderen Seite traurig, weil die Mehrheit der Studenten am Conti Campus gern Schweineschnitzel konsumierte. Arme Schweine.

Die Mensa war voll. Ich suchte nach einem freien Platz.

»Ist hier noch frei?«, fragte ich eine Männergruppe an einem langen Tisch.

»Ja, klar«, erwiderte ein blonder Typ mit einer eckigen Brille.

Sie schienen über Rechtswissenschaften zu reden. Wahrscheinlich waren es Jura-Studenten. Ich hörte nicht wirklich zu. Stattdessen schaute ich aus dem Fenster auf die in die Mensa eindringende Menschenschlange, auf die Ärsche der anstehenden Mädels. Die meisten hatten hier am Conti Campus eine eng anliegende Leggings an. Das war einer der Gründe, warum ich hier gern in die Mensa ging. Der andere Grund warum ich gern in die Conti und nicht die Hauptmensa ging, war, dass hier keine Physikstudenten herumlungerten. In der Hauptmensa wurde ich mehrmals von Physikstudenten bezüglich meiner Website oder YouTube-Kanals angesprochen und wurde so ungewollt in Diskussionen verwickelt.

Kurz bevor ich die letzten Löffel des leckeren, gelb gefärbten Blumenkohls in mich hineinschaufelte, entdeckte ich eine Studentin mit zwei großen Freundinnen, die draußen standen und über etwas sprachen. Mit ihren lockigen, dunkelroten Haaren und der positiven Aura, die sie durch ihre fröhliche Art ausstrahlte, zog sie mich in ihren Bann. Ich aß langsamer, um noch eine Weile da zu sein und sie zu beobachten. Erst als sie dann zusammen mit ihren Freundinnen in Richtung der Bibliothek marschierte, wandte ich meine Augen wieder meinem Teller zu.

Nach der Mensa ging ich noch kurz zur Cafeteria nebenan.

»Einen Kaffee?« fragte mich die Mitarbeiterin hinter dem Tresen, weil sie schon wusste, was ich immer nahm.

»Genau! Und ich hätte gern noch einen Schokokuchen dazu.«

Ich setzte mich an einen freien Tisch, holte mein Laptop heraus und notierte weitere mögliche 1%-Verbesserungen, die mir heute auf dem Weg zur Mensa eingefallen waren, und dachte dabei nach, während ich am Kaffee nippte.

»To-do: Handyvertrag wechseln!«

Ich überprüfte die Nutzung meiner mobilen Daten auf dem Smartphone. Seit meinem digitalen Ausmisten hatte sich mein mobiler Datenverbrauch fast um die Hälfte reduziert. Warum also für das bezahlen, was ich nicht nutze, dachte ich mir.

»Karateanzug wegminimalisieren?«

Während ich über den an meiner Kleiderstange hängenden Karateanzug nachdachte, wurde ich plötzlich von zwei hereinkommenden Mädels unterbrochen. Mein Herz begann zu rasen. Mein Atem wurde schneller. Die rothaarige Studentin kam herein. Sie strahlte. Sie strahlte so sehr, als wäre sie ein Superstar. Ein Diamant unter all den Menschen in der Cafeteria. Sie ging mit ihrer Freundin zur Theke und bestellte sich einen Kaffee. Sie kamen auf mich zu und unterhielten sich dabei.

»Bitte. Bitte setzt euch an meinen Tisch«, schwirrte ein Gedanke durch meinen Kopf.

Sie bogen an meinem Tisch vorbei und setzten sich an den gerade frei werdenden übernächsten Tisch links von mir. Ich starrte auf meinen Laptop und warf bei jedem Kaffeeschluck unauffällig Blicke in ihre Richtung. Die beiden Mädels saßen sich gegenüber und hörten einfach nicht auf zu quatschen.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, trank den letzten Schluck, tupfte mir meinen Mund mit der Serviette ab und stellte das Geschirr auf dem Tablett an der Theke ab. Ich schmiss die zusammengeknüllte Serviette in den Mülleimer und während sie fiel, tauchte bei mir der Gedanke auf: »Jetzt oder nie.«

Entschlossen ging ich auf die rothaarige Studentin zu und blieb vor ihr stehen. Sie hob ihren Kopf zu mir und lächelte mich an. Sie sah mich mit ihren großen blauen Augen an und wartete auf meine Worte.

»Du siehst bezaubernd aus. Als wärst du aus einem Märchen«, kam aus mir spontan heraus.

»Oh, das ist so lieb von dir!«

»Hättest du Lust, demnächst mit mir einen Kaffee trinken zu gehen?«

»Leider habe ich einen Freund...«

»Oh okay, schade.«

»Aber danke, dass du mich angesprochen hast. Dein Kompliment hat mir den Tag versüßt.«

»Ja, gerne! Mach's gut!«, verabschiedete ich mich mit einem Winken und spazierte aus der Cafeteria. Vor dem Eingang hielt ich kurz inne, schloss die Augen und sah immer noch ihr markantes Gesicht vor mir. Danach machte ich mich auf den Weg zur Druckerei. Dort holte ich meine beiden Exemplare ab, packte sie ein und gab sie in der nächsten Postfiliale ab.

Als ich die Postfiliale verließ, überströmte mich ein unglaubliches Glücksgefühl. Ich wusste, dass ich seit diesem Moment meine beinahe grenzenlose Freiheit erreicht hatte. Es blieb nur noch den Masterarbeit-Vortrag in einigen Monaten zu halten. Nie wieder würde ich arbeiten und studieren müssen. Von nun an hatte ich noch mehr Zeit am Tag, alles zu tun, was mein Herz begehrte. In dieser Zeit begehrte ich vor allem den Minimalismus und widmete mich ihm voll und ganz im gesamten April und Mai.

In der nächsten Zeit änderte sich so einiges an meinem Lebensstil. Den Abschluss meines Studiums sah ich als Anlass, den Alkohol aus meinem Leben zu streichen. Das fiel mir sehr leicht, da ich Alkohol nur ab und zu in Clubs, in einer Bar mit Nico oder zu Silvester konsumierte oder hin und wieder einen Radler in Borsum trank. Um mich noch stärker davon zu überzeugen, mit dem Alkohol aufzuhören, recherchierte ich all die gesundheitlichen Vorteile, die sich ergeben, wenn ich auf Alkohol verzichte. Von einem Tag auf den nächsten war es vorbei mit gelegentlichen Alkoholgetränken.

Lebensupgrade: Ich habe aufgehört Alkohol zu trinken. Ohne Alkohol werden Leber, Herz und Gehirn gesünder. Ich behalte stets die Kontrolle über meinen Körper. Ich lerne, mich auch ohne Alkohol entspannen zu können und dazuzugehören. Das Geld, das ich für Alkohol ausgeben würde, investiere ich lieber in ein interessantes Sachbuch, das mich im Leben weiterbringt.