Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

2019-2022: Corona-Pandemie, Zukunftsängste und die höllischen Bauchschmerzen

2019/20/21. Je länger die Corona-Pandemie und Jules Masterarbeit andrauerte, desto weniger Zeit verbrachten wir miteinander. Unsere gemeinsamen Momente beschränkten sich auf die zwei abendlichen Karatekurse pro Woche, nach denen ich dann bei Jule übernachtete. Vor dem Schlafengehen schauten wir gerne Serien wie Criminal Minds oder The Witcher auf Netflix und aßen dabei irgendwelche Snacks, wie Chips, Kohlrabi oder Schokolade. Jule war immer genervt, wenn ich sie bat, die Lautstärke zu erhöhen, weil ich Chips knabberte und dadurch die Serie nicht richtig hören konnte. Sie tat es sehr ungern, da es bereits nach zweiundzwanzig Uhr war und wir die Nachbarn nicht stören sollten.

Am nächsten Morgen startete Jule um neun Uhr mit dem Fahrrad in Richtung Universität, während ich noch gemütlich in ihrem Bett schlummerte. Manchmal konnte ich mich jedoch dazu motivieren, aufzustehen, und dann frühstückten wir gemeinsam, bevor wir beide in die Uni losfuhren.

Beim Frühstück saßen wir uns gegenüber am Tisch. Während Jule ihr Müsli löffelte und ich mein Brot mit vegetarischen Aufstrichen genoss, bemerkte ich, dass Jule mich nie direkt anschaute. Ihr Blick schweifte umher oder war schräg nach unten gerichtet, während ich mir so sehr wünschte, dass sie mich liebevoll ansieht. Ich war jemand, der seine Liebe gerne durch Berührungen, körperliche Nähe, Streicheleinheiten und Küsse ausdrückte. Daher stand ich manchmal auf, um zu Jule zu gehen, sie liebevoll zu umarmen oder meinen Kopf auf ihre Beine zu legen. Diese kleinen Gesten sollten meine Zuneigung und Verbundenheit ausdrücken. Doch trotz meiner Bemühungen spürte ich, dass diese körperliche Nähe nicht mehr dieselbe Wirkung auf Jule zu haben schien wie früher. Es fühlte sich manchmal an, als würde ich mit einem leblosen Objekt kuscheln, das gar nicht in der Lage war, meine Zuneigung zu erwidern. Diese Veränderung in unserer Intimität verstärkte mein Gefühl, dass wir uns in einer Krise befanden, auch wenn ich das genaue Problem noch nicht benennen konnte.

Nach dem Frühstück begab ich mich an mein Laptop für die Vorlesungen oder in die Bibliothek am Conti Campus, wo ich die Übungszettel bearbeitete oder an meiner Website tüftelte. Jule nahm immer das Fahrrad und ich den Bus, der direkt vor der Tür anhielt und mich zur Uni brachte, aber am liebsten ging ich zu Fuß. Obwohl ich theoretisch auch das Fahrrad hätte nutzen können, hatte ich immer wieder Bedenken, in der Stadt damit zu fahren. Die vielen Autos und die hektische, laute Verkehrssituation, auf die man ständig Acht geben musste, sowie die zu schnell vorbeifliegende Landschaft, die man nicht näher betrachten konnte, machten es für mich unmöglich, auf dem Fahrrad kreativ zu sein und neue Einfälle zu haben. Stattdessen ließ ich mich lieber fahren oder machte noch besser einen Spaziergang, der mich auf interessante Ideen brachte. Ich genoss es, den Weg zu gehen und das Gehen an sich zu schätzen, auch wenn es länger dauerte, um das Ziel zu erreichen.

Im Laufe des Tages sahen wir uns gar nicht. Jule ging mit ihren Arbeitskollegen in die Hauptmensa, während ich mein Essen alleine in der Conti Mensa einnahm. Dabei konnte ich nicht umhin, attraktive Frauen anzusehen und verspürte sogar die Versuchung, jemand Neues kennenzulernen. Doch der Gedanke, Jule untreu zu sein, war für mich keine Option. Immerhin hatten wir vereinbart, über alles offen zu sprechen. Zwar hatte ich zuvor schon scherzhaft erwähnt, wie ich manchmal den Blick auf vorbeigehende Frauen lenke, doch in Wahrheit verspürte ich tatsächlich den Wunsch nach einem richtig guten Sex.

Unser Liebesleben war im Jahr 2021 praktisch erloschen. Selbst wenn wir gelegentlich intim wurden, fehlte es an Leidenschaft und Höhepunkten. Ich hatte keinerlei Absichten, Jule zu verlassen, denn ich mochte sie. Sie gehörte bereits zu meiner Familie und ich gehörte wahrscheinlich auch zu ihrer Familie. Ich liebte sie wie ein Familienmitglied. Es war insbesondere der aufregende Sex und die körperliche Zuneigung, die mir am meisten fehlten.

Im Sommer 2021 erlebte unsere Beziehung trotz Corona-Pandemie einen Höhepunkt. Wir waren fest entschlossen nach Jules London halbjähriger Londonreise zusammenzuziehen. Mitten in der Corona-Pandemie verbrachte ich regelmäßig Zeit bei Jule zu Hause in Hannover. Jule war bereits geimpft und versuchte mich ebenfalls zu überzeugen, mich impfen zu lassen. Ich hatte Bedenken, insbesondere weil ich mich nicht nur durch Karl Lauterbach in der Markus Lanz Sendung informieren ließ, sondern auch durch Verschwörungswebsites, die von Impfschäden berichteten.

In dieser Phase fühlte ich starken sozialen Druck. Obwohl ich zunächst zögerte, ließ ich mich schließlich von Jules Überzeugungen beeinflussen, ebenso wie von der Entscheidung meiner Bekannten und Familienmitglieder, die bereits geimpft waren, und den Einschränkungen für Ungeimpfte. Sogar meine Mama und mein Vater, der in Russland lebte, waren aufgrund ihrer beruflichen Verpflichtungen gezwungen, sich impfen zu lassen.

So begleitete mich Jule im Juli zum Hannoverschen Impfzentrum, um mir eine BionTech-Impfung zu ermöglichen. Nach der Impfung stand sie mir zur Seite, als es mir zwei Tage lang schlecht ging. Die zweite Impfung folgte einen Monat später im August.

Zukünftiges Learning aus diesem Lebensabschnitt: Ich mag lieber zu Fuß gehen statt Fahrradfahren. Auch wenn ich langsamer unterwegs bin, generiere ich dabei spontan gute Ideen und bewege mich auf eine Weise, die von der Evolution vorgesehen ist – auf den Füßen. »Vom Sitzen auf dem Fahrrad zum Sitzen im Büro« ist nichts für mich.

Das erste Silvester ohne Jule

Dezember 2021. Nachdem Jule ihre Masterarbeit abgeschlossen hatte, reiste Jule im Dezember für ein halbes Jahr nach London, um vor ihrem Doktoratsstudium, am Imperial College in einer englischen Forschungsgruppe zu arbeiten, die sich mit der Kühlung einzelner Atome beschäftigte.

Das erste Mal nach vier Jahren war Jule nicht bei unserer familiären Silvesterfeier dabei. Stattdessen war Lauris erster Freund, Nick, dabei. Wir hielten an unserer russischen Tradition fest, bei der wir zum Silvester, Geschenke austauschten und mit der Familie zusammen feierten. Dascha und ihr Freund Tobias, Lauri, Jule, ich, meine Mama und ihr Freund, der von Jahr zu Jahr wechselte, packten voller Vorfreude die Geschenke unter dem Tannenbaum aus. Anschließend genossen wir ein köstliches, von Mama und Dascha zubereitetes vegetarisches Festessen und spielten gemeinsam Activity. Zwei Stunden vor Mitternacht rief Mama nach Russland an und gratulierte Oma Lina und Onkel Sascha zum neuen Jahr. Bei Oma startete nämlich das neue Jahr wegen der Zeitzone zwei Stunden vorher.

Es fühlte sich seltsam an, das neue Jahr ohne Jule zu beginnen. Als ich auf unserem Balkon stand und das farbenfrohe Feuerwerk betrachtete, konnte ich noch nicht ahnen, was das kommende Jahr für mich bereithalten würde.

»Das ist ein schlechtes Zeichen«, sagte meine Mutter, als sie sich zu mir gesellte und wir gemeinsam auf das ferne Hildesheimer Feuerwerk, weit hinter den Feldern, blickten.

»Ach, mach dir keine Sorgen, Mama, alles wird gut.«

Dennoch schwirrte der Gedanke in meinem Hinterkopf, dass sich in diesem neuen Jahr mein Leben drastisch verändern könnte. Trotzdem bemühte ich mich, optimistisch zu bleiben und den Augenblick mit meinen Liebsten zu genießen.

Nachdem Mama ihren Sekt mit mir auf dem Balkon geteilt hatte, kehrte sie ins Warme zurück. Ich verharrte noch einen Moment lang im Angesicht des bunten Feuerwerks und grübelte darüber nach, welche Vorsätze ich für das kommende Jahr fassen sollte.

»Definitiv mehr lesen«, schoss es mir durch den Kopf – und dabei dachte ich natürlich an Sachbücher.

Höllische Bauchschmerzen

Dezember/Januar/Februar 2022. Seit nunmehr zehn Wochen plagten mich täglich intensive, stechende Bauchschmerzen. Einige Stunden nach dem Essen wurde mein Bauch aufgebläht, fing in der Mitte und rechts an zu stechen, und auf der Toilette wurde ich von Durchfällen geplagt. Es gab Abende, an denen es mir ohne eine Schmerztablette unmöglich war auszuhalten, und manchmal half selbst diese nicht. In solchen Momenten musste meine Mutter den Notruf wählen. In zahlreichen Notaufnahmen wurden Untersuchungen durchgeführt – von der Ultraschall- bis zur Röntgenuntersuchung – jedoch ergab sich kein auffälliges Ergebnis. Schließlich wurde ich zu einer Hausärztin überwiesen, die mir einen Säureblocker verschrieb, um das intensive Sodbrennen am Abend und in der Nacht zu behandeln. Doch auch dieses Medikament brachte keine Schmerzlinderung. Die stechenden Schmerzen und der Durchfall hielten weiter an.

Eine andere Ärztin verschrieb mir ein Naturheilmittel, von dem ich täglich einige Tropfen einnehmen sollte. Es schien eine gewisse Verbesserung beim Sodbrennen zu bringen, doch keiner der Ärzte konnte mir wirklich helfen. Ein Arzt, meinte sogar, dass ich eher zu einem Psychotherapeuten gehen sollte, da das Problem psychisch sei. Ich konnte es nicht glauben, dass die Magenprobleme an meiner Psyche lagen, denn die Schmerzen traten stets nach dem Essen auf. Trotzdem begann ich darüber nachzudenken: Lag es daran, dass ich Jule schon so lange nicht mehr gesehen hatte? Oder waren es meine im Hintergrund lauernden Zukunftsängste?

Ich wollte keinesfalls als Versager in den Augen von Jules Eltern, meiner eigenen Mutter und meinen Großeltern erscheinen. Sie fragten mich immer wieder, wann ich mein Studium abschließen würde und was ich danach machen wollte oder wann ich mit Jule zusammenziehen würde. Diese Fragerei setzte mich unter Druck, schneller zu studieren und anfangen zu arbeiten. Doch ich wusste nicht einmal, in welchem Bereich ich meine Masterabschlussarbeit schreiben sollte, geschweige denn, was ich nach dem Studium tun sollte.

Eines war mir jedoch klar: Auf keinen Fall wollte ich meine Masterarbeit in der experimentellen Arbeitsgruppe verfassen. Also wandte ich mich zuerst an Prof. Lechtenfeld, der sich mit der Stringtheorie beschäftigte. Er schickte mir eine Aufgabe, um herauszufinden, ob ich geeignet war, meine Masterarbeit in seiner Arbeitsgruppe zu schreiben. Nach einigen Tagen des Grübelns kam ich zu keiner Lösung und verwarf letztendlich die Aufgabe. Die Stringtheorie bei Prof. Lechtenfeld schloss ich also aus.

Diese Aufgabe brachte jedoch auch Zweifel in mir auf, ob ich überhaupt gut genug für eine theoretische Arbeit war. Doch ich ließ mich nicht von meinen Zweifeln entmutigen. Ich erinnerte mich daran, dass ich bereits während meines Studiums eine Leidenschaft für das Programmieren entwickelt hatte. Auch Jule war davon überzeugt, dass ein Bereich, der sich mit Programmierung befasste, gut zu mir passen würde. Es dauerte eine Weile, bis ich mir zwei theoretische Arbeitsgruppen ausgesucht hatte, die mich besonders interessierten. Die eine beschäftigte sich mit Quantencomputing, die andere beschäftigte sich mit Festkörperphysik. In beiden wurde viel programmiert.

Meine größere Sorge bestand jedoch darin, eine klare Entscheidung darüber zu treffen, was ich nach Abschluss meiner Masterarbeit tun wollte. Ich war einfach an zu vielen Dingen interessiert und konnte mir vorstellen, in verschiedenen Bereichen zu arbeiten. Ob als Webdesigner, Webentwickler, Physikdozent, Doktorand, im Marketing oder in irgendeinem anderen Job, bei dem der Kopf gefragt ist - ich fand in vielen Bereichen Interesse. Denn ich fühlte mich in der Lage, mir alles für den entsprechenden Beruf beibringen zu können.

Auch die selbstständige Arbeit bereitete mir Freude. Hier konnte ich selbst bestimmen, an welchen Projekten ich am liebsten arbeiten wollte - sei es das Verfassen von Lernartikeln, das Zeichnen von Bildern, das Betreiben der Suchmaschinenoptimierung, das Drehen von Videos oder das Ausarbeiten kreativer Ideen. Ich wusste jedoch auch, dass es mir schwerfallen würde, mich langfristig auf nur eine Tätigkeit zu beschränken. Ich brauchte stets Abwechslung. All diese Möglichkeiten machten es mir unglaublich schwer, eine Entscheidung über meine Zukunft zu treffen.

Schon bald bewarb ich mich für ein einwöchiges Praktikum in einem Drupal-Entwicklerteam in Hannover. Zu dem Zeitpunkt tendierte ich eher dazu, eine Doktorarbeit bei Prof. Jeckelmann nach der Masterarbeit anzufangen und wollte die berufliche Laufbahn der Webentwicklung ausschließen. Doch meine Annahme erwies sich als falsch, denn das Praktikum war unglaublich spannend und weckte mein Interesse:


Zukünftige Learnings aus diesem Lebensabschnitt:
  1. Viele Fähigkeiten zu haben, kann genauso verzweifelnd sein wie gar keine zu haben.
  2. In Momenten, in denen ich nicht weiß, wie es in meinem Leben weitergehen soll, distanziere ich mich von meinem Handy, meiner Arbeit und anderen Zeitvertreiben. Ich nehme mir bewusst Zeit, nichts zu tun, bis meine Lebensaufgabe vor meinen Augen klar erscheint.