Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

Konfigurationsraum und Phasenraum und wofür sie gut sind...

Die Mathematik bietet uns die Möglichkeit die Physik in verschiedenen mathematischen Räumen zu untersuchen. Dadurch kann mensch ein physikalisches System aus einer anderen Perspektive betrachten und so möglicherweise über das System Informationen herausfinden, die in einem anderen mathematischen Raum nicht offensichtlich wären.

Hier lernst du die drei in der Physik meistgebrauchten Räume kennen:

  • Anschauungsraum (physikalischer Raum)
  • Konfigurationsraum (abstrakter Raum)
  • Phasenraum (abstrakter Raum)

Diese werden dazu benutzt, um die Dynamik verschiedenster Systeme zu beschreiben. Jeder Raum hat seine Vor- und Nachteile.

Anschauungsraum

Dreidimensionaler physikalischer Anschauungsraum
3d-Anschauungsraum mit einem Beispielortsvektor.

Der Anschauungsraum ist wohl wie der Name schon sagt, der anschaulichste Raum von allen. Dieser repräsentiert genau das, was wir in unserem dreidimensionalen Raum sehen. Der physikalische Anschauungsraum \( \mathbb{R}^3 \) ist dreidimensional und wird durch drei Ortsachsen aufgespannt.

Wenn wir ein Teilchen betrachten, dann entspricht ein Punkt \( (x_1, ~ x_2,~ x_3 ) \) in diesem Raum, der durch einen Ortsvektor \[ \class{red}{\boldsymbol{r}} ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1} \\ \class{red}{x_2} \\ \class{red}{x_3} \end{bmatrix} \] repräsentiert wird, einem echten Ort des Teilchens.

Wenn sich ein Teilchen im Lauf der Zeit bewegt, dann bewegt sich entsprechend der Punkt in diesem Raum. Wenn dieser Punkt eine Spur hinterlassen würde, dann würde er eine Trajektorie, also eine Bahn, hinter sich zeichnen. Diese Trajektorie entspricht genau der echten Bewegung des Teilchens. In diesem physikalischen Anschauungsraum kannst du also nichts falsch interpretieren, weil du die Bewegung des Teilchens direkt sehen kannst.

Dass die Bewegungs des Punkts im Raum überhaupt stattfindet, liegt daran, dass der Ortsvektor \[ \class{red}{\boldsymbol{r}}(t) ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1}(t) \\ \class{red}{x_2}(t) \\ \class{red}{x_3}(t) \end{bmatrix} \] im Allgemeinen von der Zeit \(t\) abhängt. Wir lassen hier nur die Notation der Zeitabhängigkeit weg, um den Ortsvektor kompakt zu halten.

Beispiel-Trajektorie im 3d-Raum
Beispiel für eine Trajektorie, die ein Teilchen im Anschauungsraum zurücklegt und drei Ortsvektoren zu verschiedenen Zeitpunkten.

Was passiert nun, wenn du zwei, drei, zehntausend oder eben eine beliebige Anzahl \(n\) Teilchen in diesem Raum betrachten möchtest? Na, dann zeichnest du eben alle \(n\) Ortsvektoren ein, die jeweils einem Teilchen zugeordnet sind. \[ \class{red}{\boldsymbol{r}} ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1} \\ \class{red}{x_2} \\ \class{red}{x_3} \end{bmatrix}, ~ \class{blue}{\boldsymbol{r}_2} ~=~ \begin{bmatrix} \class{blue}{x_4} \\ \class{blue}{x_5} \\ \class{blue}{x_6} \end{bmatrix},~~...~~,~ \class{brown}{\boldsymbol{r}_n} ~=~ \begin{bmatrix} \class{brown}{x_{3n-2}} \\ \class{brown}{x_{3n-1}} \\ \class{brown}{x_{3n}} \end{bmatrix} \]

Da die \(n\) Ortsvektoren im Allgemeinen zeitabhängig sind, "zeichnen" sie \(n\) Trajektorien im Laufe der Zeit.

Ortsvektoren und Trajektorien von einem Mehrteilchensystem
3d-Anschauungsraum von einem Mehrteilchensystem.

Was für ein Durcheinander! Lass uns mal in einen anderen Raum gehen.

Konfigurationsraum

Schauen wir uns einen eindimensionalen physikalischen Anschauungsraum \( \class{red}{\mathbb{R}} \) an. In diesem Raum kann sich das Teilchen nur eindimensional, das heißt, nur entlang einer Linie bewegen. Nennen wir die Position dieses Teilchens \( \class{red}{x_1} \).

Zwei separate 1d-Ortsräume
Zwei separate 1d-Anschauungsräume, die 1d-Teilchenpositionen repräsentieren.

Nehmen wir jetzt ein zweites Teilchen, dass sich ebenfalls nur eindimensional bewegen kann. Doch statt dieses Teilchen jetzt in demselben Anschauungsraum darzustellen, nehmen wir einen zweiten Anschauungsraum \( \class{blue}{\mathbb{R}} \) und stellen seine Bewegung dort dar. Dort verfolgen wir die Position des zweiten Teilchens, die wir mit \( \class{blue}{x_2} \) bezeichnen.

Wir haben also zwei separate eindimensionale Anschauungsräume. Daraus konstruieren wir einen zweidimensionalen Raum \( \mathbb{R}^2 \), indem wir das kartesische Produkt bilden: \[ \mathbb{R}^2 ~=~ \class{red}{\mathbb{R}} ~\times~ \class{blue}{\mathbb{R}} \]

Die Mathematiker nennen den Raum, der durch das kartesische Produkt gebildet wird, kurz Produktraum.

Die eine Achse dieses Produktraums stellt jetzt die Koordinate des ersten Teilchens dar und die zweite Achse stellt die Koordinate des zweiten Teilchens dar. Ein Punkt \( (\class{red}{x_1}, ~ \class{blue}{x_2}) \) in diesem Raum beschreibt jetzt die Position des ersten Teilchens und gleichzeitig die Position des zweiten Teilchens. Wir brauchen also nur einen einzigen Ortsvektor, \[ \boldsymbol{r} ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1} \\ \class{blue}{x_2} \end{bmatrix} \] um die Position zweier Teilchen festzulegen. Beim physikalischen Anschauungsraum bräuchten wir zwei Ortsvektoren dafür!

Zweidimensionaler Konfigurationsraum
2d-Konfigurationsraum, der zwei eindimensionale Teilchenpositionen beschreibt.

Denk dran, dass der konstruierte \(\mathbb{R}^2\)-Raum kein zweidimensionaler Anschauungsraum ist! Der Punkt in diesem Raum stellt keine Position EINES Teilchens mehr da, sondern von ZWEI Teilchen. Die Bewegung des Punkts im Lauf der Zeit können wir also nicht mehr als die Bewegung eines Teilchens im Anschauungsraum interpretieren. Wir haben hier mit einem Konfigurationsraum zu tun.

Wir können unseren Konfigurationsraum weiter aufbauen. Wir nehmen ein drittes Teilchen, dass sich ebenfalls eindimensional im Anschauungsraum \( \class{green}{\mathbb{R}} \) bewegt und bilden das kartesische Produkt mit unserem bereits konstruierten \( \mathbb{R}^2 \)-Konfigurationsraum: \[ \mathbb{R}^2 ~\times~ \class{green}{\mathbb{R}} ~=~ \mathbb{R}^3 \]

Dreidimensionaler Konfigurationsraum
3d-Konfigurationsraum, der drei eindimensionale Teilchenpositionen beschreibt.

Als Ergebnis haben wir einen dreidimensionalen Konfigurationsraum bekommen. In diesem können wir nun mit einem einzigen Orsvektor \[ \boldsymbol{r} ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1} \\ \class{blue}{x_2} \\ \class{green}{x_3} \end{bmatrix} \] die Position von drei Teilchen nachverfolgen.

Wir können so weiter machen und daraus einen \(n\)-dimensionalen Konfigurationsraum \( \mathbb{R}^n\) bilden. Damit sind wir in der Lage mit einem einzigen Ortsvektor \[ \boldsymbol{r} ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1} \\ \class{blue}{x_2} \\ \class{green}{x_3} \\ ... \\ \class{brown}{x_n} \end{bmatrix} \] die Position aller \(n\) Teilchen zu beschreiben. Stell dir vor, du hast ein System mit \(10^6\) Teilchen und mit einem einzigen Punkt in diesem Produktraum kennst du die Position aller \(10^6\) Teilchen! Blöderweise ist der Konfigurationsraum nicht anschaulich, weil er eben \(10^6\)-dimensional wäre... Ein Raum \(\mathbb{R}^n\), bei dem ein einziger Punkt die Position aller \(n\) Teilchen festlegt, heißt Konfigurationsraum.

Wir haben quasi mithilfe des kartesischen Produkts aus einer Unmenge an Ortsvektoren eine Unmenge an Raumdimensionen gemacht. Den \(n\)-dimensionalen Konfigurationsraum können wir jetzt auch nur bis \(n = 3 \) veranschaulichen. Ab der Dimension \(n = 4 \) müssen wir nun abstrakt (universal)denken.

Bis jetzt haben wir nur eine eindimensionale Bewegung von \(n\) Teilchen betrachtet. Üblicherweise kann sich ein Teilchen in alle drei Raumrichtungen bewegen. Wir haben also eigentlich in der Realität mit 3-dimensionalen Anschauungsräumen \(\mathbb{R}^3\) zu tun. Kein Problem! Wir können unseren Konfigurationsraum einfach erweitern.

  • \(n\) Teilchen, die sich 1-dimensional bewegen, spannen einen \(n\)-dimensionalen Konfigurationsraum auf: \[ \class{red}{\mathbb{R}} ~\times~ \class{blue}{\mathbb{R}} ~\times ~...~ \times~ \class{brown}{\mathbb{R}} ~=~ \mathbb{R}^n \]
  • \(n\) Teilchen, die sich 2-dimensional bewegen, spannen folglich einen doppelt so großen Raum auf, nämlich einen \(2n\)-dimensionalen Konfigurationsraum: \[ \mathbb{R}^{n} ~\times~ \mathbb{R}^{n} ~=~ \mathbb{R}^{2n} \]
  • \(n\) Teilchen, die sich 3-dimensional bewegen, spannen einen \(3n\)-dimensionalen Konfigurationsraum auf: \[ \mathbb{R}^{n} ~\times~ \mathbb{R}^{n} ~\times~ \mathbb{R}^{n} ~=~ \mathbb{R}^{3n} \]
Ein Konfigurationsraum \(\mathbb{R}^{3n}\) beschreibt die dreidimensionalen Positionen aller \(n\) Teilchen und das nur durch einen einzigen Vektor \(\boldsymbol{r}\) im Konfigurationsraum: \[ \boldsymbol{r} ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1} \\ \class{red}{x_2} \\ \class{red}{x_3} \\ ... \\ \class{brown}{x_{3n}} \end{bmatrix} \]

Wenn die Zeit \(t\) verstreicht, so bewegt sich der Punkt im Konfigurationsraum. Das von dem laufenden Punkt gezeichnete Objekt repräsentiert den zeitlichen Verlauf der Teilchenpositionen. Wir sagen: Ein Punkt im Konfigurationsraum legt die Konfiguration des Systems fest.

In einem zweidimensionalen Konfigurationsraum könnten die zwei Teilchen, Kurven oder Flächen verschiedenster Form "zeichnen". In einem dreidimensionalen Konfiguratonsraum könnten die drei Teilchen auch voluminöse Objekte "zeichnen", wie zum Beispiel einen Torus. Ab der vierten Dimension kannst du leider nichts mehr sehen. Aber wie gesagt, nur weil du einen Torus siehst, heißt das nicht, dass sich die Teilchen wie auf einem Torus bewegen. Das ist kein Anschauungsraum, sondern ein abstrakter Raum!

Denk auch dran, dass an den Achsen des Konfigurationsraums auch andere Koordinaten stehen könnten. Zum Beispiel könnten dort nicht kartesische Koordinaten \((x_1,~ x_2,~ x_3,~x_4,~...)\) , sondern sphärische Koordinaten \( (r_1,~ \theta_1,~ \varphi_1,~r_2,~...) \) stehen. Diese würden sich dann besser eignen, um beispielsweise \(n\) schwingende Pendel zu beschreiben.

Phasenraum

Der Konfigurationsraum war nur ein Vorspiel, um zu verstehen, wie beispielsweise ein Mehrteilchensystem in einem abstrakten, höherdimensionalen Raum untersucht werden kann. Der wohl nützlichste Produktraum, dem du später in der analytischen Mechanik begegnen wirst, ist der Phasenraum.

Der Nachteil des Konfigurationsraums ist, dass dieser nur Positionen der Teilchen wi­der­spie­gelt. Um den Zustand eines (klassischen) Systems vollständig zu beschreiben, müssen wir nicht nur wissen wo sich die Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt befinden, sondern auch wie sie sich bewegen. Anders gesagt: Wir müssen zusätzlich zur Position \( \class{red}{x_1}\) eines Teilchens, auch seine Geschwindigkeit \( \class{red}{v_1}\) an dieser Position kennen. Damit wissen wir, wie sich das Teilchen zum nächsten Zeitpunkt bewegen wird.

Wir können auch die Information über die Masse \(m_1\) des Teilchens mitnehmen, indem wir den Impuls \( \class{red}{p_1} ~=~ m_1 \, \class{red}{v_1} \) statt der Geschwindigkeit \( \class{red}{v_1}\) betrachten. Der Zustand eines (klassischen) Teilchens ist durch seine Position und seinen Impuls vollständig bestimmt.

Wir wollen aus der (eindimensionalen) Position \( \class{red}{x_1} \) und dem Impuls \( \class{red}{p_1} \) an dieser Position, einen Produktraum konstruieren, sodass wir wieder nur einen einzigen Vektor, nennen wir ihn \( \boldsymbol{u} = (\class{red}{x_1}, ~ \class{red}{p_1}) \) brauchen, um den Zustand des Teilchens vollständig festzulegen. Wir bilden also das kartesische Produkt des Ortsraums \( \class{red}{\mathbb{R}} \), in dem die Teilchenposition \( \class{red}{x_1} \) lebt und des Impulsraums \( \class{red}{\mathbb{R}} \), in dem der Teilchenimpuls \( \class{red}{p_1} \) lebt: \[ \mathbb{R}^2 ~=~ \class{red}{\mathbb{R}} ~\times~ \class{red}{\mathbb{R}} \]

Zweidimensionaler Phasenraum
Ein 2d-Phasenraum, der vollständig den Zustand eines Teilchens angibt, das sich eindimensional bewegt.

Das Ergebnis ist ein zweidimensionaler Phasenraum. Dieser beschreibt den Zustand eines Teilchens, das sich eindimensional bewegt. Diesen Raum können wir noch veranschaulichen. Aber sobald wir ein weiteres Teilchen nehmen, bräuchten wir schon einen abstrakten vierdimensionalen Phasenraum.

2d-Phasenraum

Ein Pendel in Polarkoordinaten beispielsweise, lässt sich noch im 2d-Phasenraum veranschaulichen. Die Position des Pendels wird durch den Winkel \(\varphi\) bestimmt. Das ist die eine Achse des Phasenraums. Und der Impuls \(p_{\varphi}\) bildet die andere Achse des Phasenraums.

Ein Phasenraum ist also ein Produktraum, der die Positionen und Impulse (bzw. Geschwindigkeiten) aller Teilchen repräsentiert. Ein Phasenraum ist quasi ein Konfigurationsraum, der um die Impulse erweitert wurde.

Wir wissen, dass wir einen \(3n\)-dimensionalen Konfigurationsraum brauchen, um Positionen aller \(n\) Teilchen, die sich beliebig bewegen können, festzulegen. Jede Teilchenposition wird ja durch 3 Ortskoordinaten festgelegt. Für \(n\) Teilchen haben wir also \(3n\) Ortskoordianten gebraucht. Für die Konstruktion des Phasenraums, kommen aber noch die gleiche Anzahl, \(3n\), an Impulskoordinaten hinzu. Ein Phasenraum, der \(n\) Teilchen beschreibt, ist \(6n\)-dimensional: \(\mathbb{R}^{6n}\).

Ein Punkt, der durch den Vektor \[ \boldsymbol{u} ~=~ \begin{bmatrix} \class{red}{x_1} \\ \class{red}{x_2} \\ \class{red}{x_3} \\ ... \\ \class{brown}{x_{3n}} \\ \class{red}{p_1} \\ \class{red}{p_2} \\ \class{red}{p_3} \\ ... \\ \class{brown}{p_{3n}}\end{bmatrix} \] im Phasenraum \(\mathbb{R}^{6n}\) repräsentiert wird, gibt die Positionen und Impulse aller Teilchen an und legt damit den Zustand des Systems vollständig fest.

Es bleibt dir überlassen, welchen Raum du zur Beschreibung der klassischen Mechanik benutzt.

  • Klassische Mechanik, formuliert im physikalischen Anschauungsraum \( \mathbb{R}^3 \) ist die Newton-Mechanik.
  • Klassische Mechanik, formuliert im Konfigurationsraum \( \mathbb{R}^{3n} \) ist die Lagrange-Mechanik.
  • Klassische Mechanik, formuliert im Phasenraum \( \mathbb{R}^{6n} \) ist die Hamilton-Mechanik.

Sowohl Newton- Lagrange- als auch Hamilton-Mechanik beschreibt äquivalent die klassische Physik. Der Unterschied liegt nur in der mathematischen Perspektive, deren Wechsel nützlich und erkenntnisreich sein kann. In weiteren Lektionen schauen wir uns die klassische Mechanik im Konfigurationsraum an.