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Die Hochzeit meiner Schwester

2. Juli 2022. An einem strahlenden Samstag, versammelten sich zur Mittagszeit Familie und Freunde in der St. Martinus Kirche in Borsum, um die Hochzeit von Mascha und Tobi zu feiern. Ich saß in der ersten Reihe neben Jule, während meine Mutter, das Brautpaar, der Trauzeuge Niels und die Trauzeugin Antonia ebenfalls in der vorderen Reihe Platz nahmen. Lauri saß mit ihrem Freund Nick und Joachim direkt hinter mir. Die Kirche war gefüllt mit fröhlichen Gesichtern und erwartungsvoller Stimmung.

Der Pfarrer trat ans Podium und begann nach einer kurzen Begrüßung mit seiner tiefen Stimme den Brief des Paulus an die Korinther vorzulesen.

»Die Liebe ist geduldig, die Liebe ist gütig. Sie kennt keinen Neid, keine Selbstsucht, sie prahlt nicht und schaut nicht auf andere herab. Sie ist nicht taktlos und sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht reizen und trägt das Böse nicht nach…«

Mein Blick wanderte zum Kreuz von Jesus, das hinter dem Pfarrer hing, und ich versank in seinem schräg nach unten schauenden Antlitz.

»… Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich, wenn die Wahrheit siegt. Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.«

Nach der Rede bat der Pfarrer Mascha und Tobi zum Altar. Mascha, in ihrem pompösen schneeweißen Kleid, stand mit Tobias, der einen eleganten schwarzen Anzug trug, auf und die Blicke der gesamten Kirche richteten sich auf sie. Am Altar stellten sie sich gegenüber und schauten einander lächelnd an.

»Wir sind heute hier zusammengekommen, um das wunderbare Liebesbündnis zwischen Maria Fufaeva und Tobias Gellmann zu feiern. Sie haben sich dazu entschlossen, den Bund der Ehe einzugehen und ihre Leben miteinander zu verbinden. Die Liebe, die sie füreinander empfinden, ist spürbar und strahlt in ihren Augen«

Plötzlich spürte ich Jules warme Hand auf meiner. Wir schauten uns mit gläsernen Augen an. Es war schön zu merken, dass wir uns wieder trauten, aufrichtig Händchen zu halten, ohne dass es sich befremdlich anfühlte.

»Tobias Gellmann, möchtest du Maria Fufaeva zu deiner rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen? Willst du sie lieben, achten und in guten wie in schlechten Zeiten an ihrer Seite stehen?«

Ohne zu zögern, kam aus Tobias Mund die Antwort heraus.

»Ja, das möchte ich!«

»Maria Fufaeva, möchtest du Tobias Gellmann zu deinem rechtmäßig angetrauten Ehemann nehmen? Willst du ihn lieben, achten und in guten wie in schlechten Zeiten an seiner Seite stehen?«

Mascha zögerte, typisch für meine Schwester. Sie liebte es, die Dinge gerne etwas spannender zu gestalten.

»Ja, das möchte ich!«, antwortete sie endlich.

»Dann reicht euch die Hände…«, führte der Pfarrer fort.

Ich blickte kurz zu Mama. Sie weinte vor Glück.

Mascha und Tobi wiederholten nacheinander die Worte des Pfarrers und gaben sich das Versprechen.

»Im Angesicht dieser Versprechen und eurer Liebe zueinander erkläre ich euch hiermit zu rechtmäßig verbundenen Eheleuten. Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Ihr dürft euch nun küssen und euren Weg als Ehepaar gemeinsam beschreiten.«

Ich hob meinen Blick erneut auf das Kreuz von Jesus, machte kurz meine Augen zu und verbeugte mich vor ihm in stiller Ehrfurcht.

Mascha und Tobi küssten sich innig. Alle Gäste erhoben sich von ihren Plätzen und jubelten voller Freude.

Nach einem kurzen Aufenthalt draußen vor der Kirche, fuhren Mama, Lauri, Jule und ich im Auto zum Gutshof Rethmar, wo sich alle Freunde und Verwandte von Mascha und Tobi für ein festliches Essen und eine ausgelassene Party versammelten.

Wir kamen etwas früher an und sahen, wie die Esstische gerade vorbereitet wurden. Im Keller spielte ich eine Runde Bowling mit Tobias' Freunden. Später ging ich nach draußen, wo Jule, Mama, Joachim und die Eltern von Tobi an einem Tisch saßen und miteinander plauderten. Direkt dahinter an den Tischen saß Mascha mit ihren Freundinnen.

»Ah, Sascha! Komm, setz dich zu uns!«, rief Herbert, Tobias' Vater, mir zu.

Ich nahm den einzigen freien Stuhl neben Jule ein.

»Na, kommst du mit deinem Studium gut voran?«, fragte mich Herbert.

»Ja, ich bin gerade dabei meine Masterarbeit zu schreiben.«

Kurze Stille.

»Wann ziehst du eigentlich aus?«, kam eine unerwartete, etwas unangenehme Frage von Joachim, begleitet von einem ausgeatmeten Rauchschwaden nach einem Zigarettenzug.

Ich schaute kurz zu Jule, die ihren Blick nach unten wandte. Es war unangenehm, dieses Verhör zu spüren, und es erinnerte mich an eine Klassenkonferenz in der Schule, bei der ich in Tränen ausbrach. Mir wurde heiß, und wahrscheinlich bekam ich auch ein rotes Gesicht.

»Ich möchte mit Jule zusammenziehen, aber sie ist gerade noch nicht bereit dafür«, antwortete ich, während ich versuchte, gelassen zu bleiben.

»Willst du wirklich bis vierzig noch zu Hause wohnen?« fragte Joachim, während andere neugierig zuhörten.

»Ich habe nichts dagegen«, sprang Mama ein und lachte.

Es fühlte sich an, als hätte ich etwas falsch gemacht und als müsste ich mich rechtfertigen. Doch bevor ich antworten konnte, lenkte Herbert, der wahrscheinlich bemerkt hatte, dass es mir unangenehm war, die Aufmerksamkeit ab, indem er Jule eine Frage stellte.

»Und du, Jule, wie läuft dein Studium?«

»Gut, ich bin jetzt Doktorandin«, antwortete sie und begann über ihre Arbeit zu erzählen.

Ich saß immer noch nachdenklich da und starrte auf den Tisch. In Joachims Augen fühlte ich mich mit meinen dreißig Jahren wie ein Muttersöhnchen, das seine Mutter mehr belastet als unterstützt. Der enge Zusammenhalt mit meiner Mutter, den ich als Stärke empfand, wurde in Joachims offenbar als Schwäche betrachtet.

»Das Buffet ist eröffnet«, verkündete eine freundliche Kellnerin aus dem Gasthaus. Es war neunzehn Uhr, und wir marschierten alle zum Buffet. Von warmen Gerichten über Suppen bis zu den Desserts war alles vegan. Das war Mascha und Tobi wichtig, denn sie lebten mittlerweile größtenteils vegan und wollten auch die fleischessenden Gäste überraschen, wie lecker veganes Essen sein kann.

Nach dem Essen hielt Antonia eine emotionale Rede, bei der Mascha Tränen in den Augen standen. Mama hatte den ganzen Tag und die ganze Nacht an einer noch emotionaleren, beinahe filmreifen Rede gearbeitet. Leider hatte sie sich nicht getraut, sie vor so vielen Menschen vorzutragen.

Nach Antonias Rede legte der DJ los, und Mascha und Tobi eröffneten die Party mit einem Tanz. Tobi hatte coole Freunde, die ich bereits beim Junggesellenabschied beim Paintball kennengelernt hatte. Ich hatte viel Spaß auf der Tanzfläche mit ihnen. Jule dagegen war nicht wirklich in Stimmung. Sie wurde von Kopfschmerzen geplagt und saß meistens am Tisch oder draußen. Ich nahm es ihr nicht übel.

»Hat dir die Kopfschmerztablette ein bisschen geholfen, mein Schatz?«, fragte ich Jule, die vor einer halben Stunde eine Tablette gegen Kopfschmerzen von der Kellnerin bekommen hatte.

»Etwas besser. Aber, Saschi, ist es in Ordnung für dich, wenn ich gleich mit Svetlana nach Hause fahre?«

»Ich komme mit!«, antwortete ich und warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits ein Uhr nachts.

Nachdem wir uns von den noch trinkenden und tanzenden Gästen verabschiedet hatten, machten Mama, Jule und ich uns auf den Weg zurück nach Borsum. Als ich den Schweiß vom Tanzen unter der Dusche abgespült hatte und mich anschließend ins Bett zu Jule legte, die bereits schlief, merkte ich, wie müde ich doch war. Kurze Zeit später fielen mir ebenfalls die Augen zu, und ich schlief ein.