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Liebst du mich?

15. Januar 2015. Am Abend spazierten wir durch Hannover. Es war der erste Tag des neuen Jahres, an dem ich Jana sah. Sie musste Bewerbungen an Universitäten schreiben, daher konnten wir uns vorher nicht sehen.

»Jana, erinnerst du dich noch an den Zettel über meinem Schreibtisch?«, fragte ich sie, »Ich denke, ich kann ihn jetzt abmachen.«

Sie schwieg.

»Du bist meine Seelenverwandte, Jana. Die Liebe meines Lebens«, fuhr ich fort und hoffte, dass sie das Gleiche sagen würde. Doch sie schwieg weiterhin.

Dann antwortete sie endlich.

»Ich bin noch nicht bereit.«

Sie erklärte mir, dass sie bald nicht mehr hier sein würde. Sie würde wegen ihres Studiums umziehen müssen. Mir war die Entfernung egal. Das Einzige, was ich in diesem Moment hören wollte, war, dass sie mich auch liebte und, dass wir für immer zusammenblieben. Doch sie sagte nichts.

Am Ende des Spaziergangs warteten wir am Bahnhofseingang auf den Zug nach Hause. Ich war enttäuscht und ungeduldig und stellte sie vor eine Entscheidung. Ich verlangte eine klare Antwort von ihr: JA oder NEIN zu unserer Beziehung.

Ich kann mich noch gut an ihren Blick erinnern – als wollte sie mich voller Trauer fragen, warum ich das bloß gefragt hätte. In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß, weil ich schon ahnte, welche Antwort ich erhalten würde. Wir sahen uns schweigend einige Minuten an, bis sie Nein sagte.

Ohne mich von ihr zu verabschieden und ohne zurückzuschauen, ging ich mit schnellem Schritt zum Gleis. Der Zug stand schon da. Ich setze mich auf den einzigen freien Platz auf einem Vierersitz und schaute mit zusammengebissenen Zähnen und gehobenem Kopf aus dem Fenster. Die ersten Regentropfen prallten darauf und glitten an der Scheibe hinab. Dieser Kloß in meinem Hals löste sich nicht, wenn ich versuchte, zu schlucken. Mit dem Arm, der ans Fenster angelehnt war, versuchte ich meine bereits mit Tränen gefüllten Augen vor anderen zu verdecken. Ich durfte nicht meinen Kopf nach unten senken, sonst hätte die Schwerkraft die einzelnen Tränen aus meinen Augenwinkeln zum Fallen gebracht. Als der Zug schließlich losfuhr, gab ich der Schwerkraft nach, senkte meinen Kopf und ließ die Tränen auf meine Hose tropfen.

Am nächsten Tag bereute ich meine ungeduldige, kindische Überreaktion bereits. Als ich aus dem Zug ausgestiegen war und die Treppe hinunterging, hatte ich keine Hoffnung, Jana unten zu sehen. Doch ich wusste, dass sie irgendwo hier sein musste, weil sie zur selben Zeit zur Arbeit fuhr, wie ich zur Uni. Ich schaute mich überall um und entdeckte sie tatsächlich in einer Menschenmenge etwas weiter am Eingang des Hauptbahnhofs. Ich folgte ihr und passte meinen Schritt ihrem an, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Ich wollte nicht glauben, dass es wegen der gestrigen Kleinigkeit endgültig vorbei war. Ich wollte nicht aufgeben, weshalb ich mich schließlich dazu entschied, sie einzuholen und anzusprechen:

»Jana, wie geht‘s?«

»Hi. Nicht so gut...«

Wir gingen ein paar Schritte.

»Tut mir leid, dass ich heute nicht so gesprächig bin...«, sagte sie.

»Es ist nicht schlimm, Jana! Du musst nicht mit mir reden; sag, wenn Du etwas zu sagen hast.«

Ich folgte ihr zur Haltestelle, wo wir ein Weilchen auf die Straßenbahn warteten. Jana stand von mir abgewandt und wir sprachen kein Wort miteinander.

»Entschuldige, dass ich gestern weggelaufen bin«, brach es schließlich aus mir, als ich die Straßenbahn sah, die Jana nehmen wollte.

Sie antwortete nicht und schaute nur in die Umgebung. Als die Bahn fast zum Stehen gekommen war, entschloss ich mich, Jana zu umarmen. Doch sie hielt mich davon ab.

»Ich hasse Menschen«, sagte sie weinerlich, dann rannte sie in die Straßenbahn.

Voller Schmerz beobachtete ich, wie die Straßenbahn wegfuhr. Mit gesenktem Kopf machte ich mich auf den Weg zur Vorlesung.

Nach den ersten beiden Vorlesungen saß ich, statt in die Mensa zu gehen, in der Bibliothek, abseits von allen Menschen und beobachtete die Tauben auf dem Dach. Meine Gedanken drehten sich um Jana:

»Ich will sie nicht traurig machen oder ihr das Leben erschweren. Aber ich will sie auch nicht verlieren. Was habe ich nur angerichtet? Ich muss weiterkämpfen.«

Auf dem Weg nach Hause schrieb ich ihr eine E-Mail, in der ich sie fragte, was ihr auf dem Herzen liege. Die Tage danach wartete ich hoffnungsvoll auf eine Antwort von ihr.