WIEDERGEBURT .
.
.
LEBEN:
Ein blöder Tag wird gut gemacht. Stadtstrand. Vivian die Nachhaltige und Jassi, die eine andere Straße nimmt.
11. Juli 2024. Ich sitze in einem Raum und lege die Theorieprüfung ab. Ich bin fast fertig. Plötzlich wache ich auf. Meine Mutter steht in der Tür und sagt, dass Mascha und Tobi gleich da sind. Wir fahren an die Nordsee nach Cuxhaven. Es ist 8:30 Uhr.
Gegen 9:00 Uhr kamen Mascha und Tobi. Wir haben zusammen gefrühstückt und dann wollten wir nach Cuxhaven aufbrechen.
Im Auto schlug Tobi jedoch einen anderen Ort vor. Ich stimmte zu, da ich auch keine Lust hatte, fast drei Stunden im Auto zu sitzen. Die anderen waren zunächst nicht begeistert, gaben dann aber nach. So fuhren wir zum Steinhuder Meer.
Als wir dort ankamen, stellte sich heraus, dass Mascha einen Hundestrand wegen Spike erwartet hatte. Da es dort keinen gab, haben wir nach Alternativen gegoogelt. Wir hatten alles von Bremerhaven bis Maschsee. Ich wär mit Steinhuder Meer einverstanden, aber auch mit allen anderen Orten. Für mich zählt einfach, die Zeit mit der Familie zu verbringen.
Unterwegs schlug ich vor, in Hildesheim zusammen ein Eis essen zu gehen. Alle stimmten zu, außer Mascha, die sich eher zurückhaltend verhielt. Tobi schlug dann vor, nach Hohenhameln zu fahren, weil das Eis dort besonders gut sei. Wieder waren alle einverstanden.
Ich döste kurz ein. Der Koffeinentzug schien immer noch zu wirken. Als ich aufwachte, waren wir fast in Borsum angekommen. Offensichtlich hatten sie sich umentschieden und wollten doch kein Eis essen… die Stimmung bei allen war im A*sch.
Mascha und Tobi fuhren nach Hause und ließen Mama, Laura und mich in Borsum. Laura zog sich in ihr Zimmer zurück. Und Mama wurde schlecht gelaunt, als sie mich im Wohnzimmer auf dem Boden liegen und fast einschlafen sah. „So kann man nicht produktiv sein, wenn man dich anschaut“, sagte sie. „Ich fahre zu Julien...“, führte sie fort. Ich rolle nur mit den Augen und denke mir, du hast doch mit ihm Schluss gemacht! Der tausendste Beweis, dass ich meine Mutter nicht ernst nehmen kann, wenn sie sagt: „Ich habe Schluss gemacht mit Julien“.
Mir war es zu blöd, diese Kommentare zu ertragen. In Lauras Zimmer konnte ich nicht rumliegen, weil sie da war. Also entschied ich mich, einfach nach Hildesheim zu fahren und dort die Zeit zu verbringen.
Auf dem Weg in die Stadtmitte sehe ich vor mir eine blonde Göttin mit einem wohlgeformten Po in einer hellen Highwaist Jeans. Ohne zu zögern, hole ich sie ein, schaue nach rechts, um zu checken, ob sie von vorn genauso gut aussieht wie von hinten, und dann spreche ich sie an.
„Hey, ich heiße Alexander. Essen wir zusammen ein Eis?“
Sie bleibt überrascht stehen. „Oh, danke für deinen netten Vorschlag, aber ich habe jetzt einen Termin beim Zahnarzt.“
Ich schaue auf die Uhr auf meinem Handy. „Wann ist denn der Termin? Vielleicht schaffen wir es noch schnell, uns ein Eis zu holen, oder danach?“
„Der Termin ist gleich, und danach muss ich mit dem Zug wieder nach Göttingen.“
„Oh, kannst du vielleicht einen Zug später nehmen?“
„Das geht leider nicht, weil ich mit dem ICE zurückfahre. Und ich muss auch dazu sagen, ich habe einen Freund.“
„Das ist kein Problem. Ich hatte jetzt nicht vor, dich nach dem Eisessen zu heiraten.“
Sie lächelt.
„Eigentlich wollte ich mit meiner Familie nach Cuxhaven, aber dann hatten wir eine Meinungsverschiedenheit und dadurch schlechte Laune bekommen. Dann dachte ich mir, fahre ich nach Hildesheim und esse ein Eis mit einer Hübschen.“
„Was ist passiert?“, fragte sie mich.
Sie schien neugierig geworden zu sein.
„Lass uns weitergehen“, antwortete ich und erzählte ihr, warum ich jetzt nicht in Cuxhaven bin.
So lernte ich Vivian aus Göttingen kennen. Sie studiert Biodiversität dort und kommt nach Hildesheim nur wegen des Retainers. Sie ist natürlich eine Vegetarierin.
Nach unserem Gespräch über das WG-Leben und die Einhaltung des Nichteinhaltung des Putzplans (was sie aufregt), sind wir an der Ampel stehengeblieben.
„Ich muss in die Richtung weiter“, sagte sie und zeigt in Richtung der Ampel, „meld dich einfach, wenn du wieder in Hildesheim bist, dann gönnen wir uns ein Eis“, führte ich fort und gab ihr meine Emailadresse.
„Ja, mache ich“, sagte sie und reichte mir ihre Hand.
Wir verabschiedeten uns mit einem Händeschütteln.
Ich komme am Bücherladen Thalia vorbei.
„Guck mal, da ist jemand barfuß“, sagt ein Mann zu seinem Kind, „er macht’s richtig“.
Eine Blondine mit eine Schlaghose mit Leopaedenmuster sitzt auf einer Bank. Ich frage sie nach einer Zigarette und wollte ihr dafür ein Euro geben. Sie war freundlich und hat sie mir spendiert. Ich habe ihr den besten Tag ihres Lebens gewünscht. Ihre Augen begannen zu funkeln.
„Das habe ich ja noch nie gehört. Danke!“, sagte sie.
Ich habe mich beim Citybeach einen Long Island Iced Tea bestellt und mich auf das bequeme Sofa gesetzt. Hier kann man auch schön die Zeit bei einem Getränk zusammen verbringen. Vor allem, weil es hier trotz des guten Wetters nicht voll ist. Es war so gemütlich und schattig auf dem Platz, dass ich kurz eingedöst bin.
Danach bin ich noch eine Runde durch die Stadtmitte gedreht und zur Theoriestunde gegangen. Heute gab Stefan den Unterricht, mein Fahrlehrer, mit dem ich morgen meine ersten zwei Fahrstunden absolvieren werde. Er sieht ein bisschen wie mein Stiefvater Joachim aus, nur dass Stefan eine Glatze hat. Er redet sehr viel, scheint aber ein interessanter Mensch zu sein, wenn man seine Geschichten aus dem Leben anhört, die er nebenbei im Unterricht erzählt.
Ich sitze im Unterricht und schau mir meine Hand an, Weil das Whiteboard heute nicht funktioniert hat, auf das ich typischerweise schauen müsste. Oh! Mein Fingernagel auf dem Mittelfinger der linken Hand, der operiert wurde, ist jetzt übrigens vollständig verheilt. Zum Glück ist keine Narbe geblieben.
Auf dem Weg zurück zum Bahnhof spricht mich ein älterer, braungebrannter Mann von der Seite an.
„Ich sehe überall, wo ich hingehe, Schmetterlinge“, sagt er voller Begeisterung und Glück, als wäre er auf irgendwelchen Drogen.
„Sie mögen dich scheinbar“, antworte ich. Wir haben uns ein High Five gegeben und ich ging weiter.
Ich hatte noch 20 Minuten Zeit, bis der 24er Bus kam, also ging ich zu einem Baum mit einer runden Bank, die von der Sonne beschienen wurde. Dort saß bereits jemand: eine junge Göttin mit teils braunen und blauen Haaren. "Die sieht ja cool aus", dachte ich.
Die anders aussehende Göttin rauchte. Um eine Gemeinsamkeit zwischen uns herzustellen, fragte ich eine andere Frau auf dem Weg nach einer Zigarette. Sie spendierte mir eine und zündete sie an.
Ich setzte mich neben die blauhaarige Göttin. „Coole Haarfarbe“, sprach ich sie an.
„Danke!“, erwiderte sie, zog an ihrer selbstgedrehten Zigarette und lächelte mich an.
So sprach ich Jassi an. Wir kamen ins Gespräch. Sie lebt schon lange in Hildesheim und kennt sich gut aus. Als ich sie fragte, wie das Nachtleben hier sei, antwortete sie nur: „Tot.“ Aber sie empfahl mir die Kulturfabrik KUFA, wo es manchmal Tanzveranstaltungen mit Musik aus den Achtzigern, Neunzigern und Zweitausendern gibt. Das fand ich toll, denn ich habe schon lange nicht getanzt und habe große Lust darauf!
Jassi drehte sich eine weitere Zigarette. Unser oberflächliches Gespräch über Vanlife, Wohnen und Arbeiten in Hildesheim verwandelte sich in ein tiefgründiges, nachdem ich ihr Tattoo auf dem Unterarm kommentierte.
„Jassi? Du gehst also eine andere Straße?“, sagte ich, als ich ihr Tattoo sah.
„Was?“, fragte sie, weil sie mich zuerst nicht verstand. Ich deutete auf ihr Tattoo hin.
Es ist eine Zeile aus einem russischen Gedicht, dessen Autor sie vergessen hatte.
„Dostojewski?“, riet ich.
“Nein.“
„Tolstoi“, riet ich weiter.
„Nee, das ist ein nicht so bekannter Autor“, antwortete sie und versuchte, das Gedicht zu googeln, fand aber nichts.
In diesem Gedicht fällt man immer wieder in eine Grube. Jassi dagegen hat sich für einen Umweg entschieden. Sie geht eine andere Straße.
„Ich habe eine rezidivierende Depression“, erklärte sie.
„Was heißt rezidivierend?“, fragte ich nach.
Jassi hat eine wiederkehrende Depression. So wie Matilda eine wiederkehrende manische Phase hat, kommt bei Jassi immer wieder die Depression zurück. Es war mir nicht bewusst, dass es Depressionen gibt, die heilbar sind, und solche, die wie in ihrem Fall nicht heilbar sind. Jassi hat mir die Augen geöffnet, dass Depressionen viel komplexer sind, als ich es mir vorgestellt hatte. Eine Depression ist nicht unbedingt ein trauriges Gemüt, sondern sie kann sich auch auf komplett andere Weise äußern, die nichts mit Traurigkeit zu tun hat. Ich sollte definitiv mehr darüber lernen.
Ich schaute auf mein Handy.
„Oh Mist, mein Bus fährt in 2 Minuten, ich muss los, das ist nämlich der letzte Bus“, unterbrach ich sie.
Wir verabschiedeten uns, und ich fuhr mit dem Bus nach Hause. Ich war sehr froh, dass ich nach Hildesheim gefahren bin nach dieser Panne mit der Familie. Ehrlich gesagt, bin ich auch froh, dass wir nicht nach Cuxhaven gefahren sind. Hätten wir das getan, hätte ich weder Vivien noch Jassi kennengelernt. Zwei interessante, gut aussehende Menschen, die in meinem Leben bleiben könnten.
Ich bin heute dankbar:
- Dafür, dass wir nicht nach Cuxhaven gefahren sind, denn ansonsten hätte ich nicht die interessanten Menschen, Vivian und Jassi, getroffen.
- Dem Sofa beim Stadtstrand in Hildesheim, auf dem ich ein kleines Nickerchen gemacht habe.
- Der jungen Göttin im Leopardenkleid, die mir eine Zigarette spendiert hat. wobei, ich weiß nicht, ob ich dafür dankbar sein soll. Eigentlich will ich ja nicht gelegentlich rauchen.
- Dafür, dass Vivian trotz eines Korbs, sich doch noch mir gegenüber geöffnet hat. Von ihr kann ich sicherlich noch viel über Nachhaltigkeit und Biodiversität lernen.
- Dafür, dass Jassi mich dazu bewogen hat, mich näher mit Depression auseinanderzusetzen, und dass sie mir die KUFA empfohlen hat. Da sie schon lange in Hildesheim wohnt, kann sie mir sicherlich die Stadt zeigen und noch einiges über Depressionen beibringen.