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WIEDERGEBURT .
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LEBEN:

Anna die Schöne

6. September 2023. Zwei Mädels standen vor der Tür der Bibliothek und versuchten, hineinzugehen. Als ich auf sie zukam, versuchte ich dasselbe, doch die Tür blieb zu. Ein Blick auf die Glasscheibe nebenan zeigte einen Zettel, auf dem stand, dass die Bibliothek heute aus unerklärlichen Gründen bis zehn Uhr geschlossen war.

»Ich habe mich schon gewundert, warum so viele Leute draußen sitzen um diese Uhrzeit«, sagte ich zu den beiden Mädels.

»Na toll, was sollen wir jetzt machen? Es ist noch eine Stunde bis dahin«, sagte eine der Mädels.

»Dann müssen wir wohl noch ein bisschen Sonne genießen«, kommentierte ich und ging in die HanoMacke, um mir einen Kaffee zu holen. Dann visierte ich den Tisch an, an dem ein Typ am Laptop saß. Ich setzte mich schräg gegenüber und holte mein Macbook raus, um darin ein bisschen an meiner Lebensgeschichte weiterzuschreiben.

Die Sonne blendete zu sehr, als ob sie mich dazu verleiten wollte, meinen Laptop zuzuklappen und mich ganz ihr zu widmen. Das tat ich dann auch. Ich setzte mich vor die Wiese und genoss die warmen Strahlen. Ab und zu blickte ich zum Eingang der Bibliothek, vor dem sich schon einige Studenten versammelt hatten. Irgendwann ging sie endlich auf, und die Menschenmenge strömte hinein. Ich folgte.

Heute saß ich wie immer in der vierten Etage am Fenster, an meinem Stammplatz, und arbeitete nur eine Stunde, weil mein Magen bereits knurrte und es mir unangenehm war, wenn andere das mitbekamen. Es gab vegane Tortellini mit einem Salat. Draußen waren noch viele Bänke frei, aber ich setzte mich nicht darauf, sondern marschierte direkt zur grünen Wiese voller Blumen und Insekten. Im Schneidersitz nahm ich als einziger Student im Grünen Platz und genoss mein Essen. Ich hatte bis jetzt, trotz meines möbelfreien Lebens, noch nicht auf dem Boden mein Mittagessen gegessen. Das probierte ich heute daher direkt draußen aus.

Nach den leckeren Tortellini ging ich wieder nach oben in die Bibliothek. Hinter mir saß nun eine Gruppe von Mädels, die immer mit einem riesigen Typen mit schulterlangen Haaren unterwegs war. Da es ein recht großes Grüppchen war, setzte sich eine aus der Gruppe an meinen Tisch mir gegenüber. Ich fand es seltsam, wenn sie mich nachahmte. Wenn ich ein Bein auf den Stuhl stellte, tat sie dies auch. Wenn ich meinen Kopf an der Hand anlehnte, tat sie dies auch. Als unsere Blicke kurz trafen, stand sie auf, packte ihr Laptop ein und ging mit ihrer Gruppe weg.

Ein paar Minuten später machte ich eine Pause. Ich holte mir einen Kaffee und setzte mich an einen schattigen Platz auf dem Rasen. Ich sah die Gruppe auf einer Bank. Sie aßen Mittag. Nach dem Kaffee, gleichzeitig mit der Gruppe, ging ich zurück in die Bibliothek. Diese Studentin saß wieder da. Ungefähr eine halbe Stunde später verabschiedete sie sich von ihrer Gruppe und verschwand mit all ihren Sachen.

Die verschiedensten Gedanken wirbelten wild in meinem Kopf, und ich konnte mich einfach nicht auf meine Aufgaben konzentrieren. Nach einer halben Stunde des vergeblichen Versuchs mich zu konzentrieren, entschied ich mich eine Pause zu machen. Ich setzte mich auf eine Bank an einem schattigen Ort direkt vor der Bibliothek und snackte eine Banane sowie ein paar Zwetschgen, die ich mir zuvor aus dem Rucksack geholt hatte. Dann verspürte ich plötzlich eine unerklärliche Lust auf etwas Süßes. Ein Verlangen nach einem Muffin machte sich breit. Ohne weiteres Zögern machte ich mich auf den Weg zur Cafeteria nebenan, entschlossen, dieser süßen Versuchung nachzugeben.

Die Cafeteria empfing mich mit einem verlockenden Duft von Kaffee und süßen Leckereien. Meine Augen wanderten zielgerichtet zu einem Mädchen mit langen, blonden Haaren, das ein bezauberndes, blaues Blumenkleid trug. Als die Tür hinter mir zu knallte, drehte sie sich um, und unsere Blicke trafen sich. Ein Lächeln spielte auf ihren Lippen, und ich erwiderte es. Süße Sommersprossen zierten ihr Gesicht.

Entschlossen stellte ich mich an der Theke an, doch sie schien abseits der Schlange zu warten, ihre Freundin ebenfalls in der Nähe. Die Freundin mit kurzen, braunen Haaren, nerdiger Brille und einem auffälligen rosafarbenen Oberteil, holte sich ein warmes Getränk, und die beiden verließen die Cafeteria. Ich orderte mir einen Muffin und einen Kaffee und verließ die Cafeteria mit der Hoffnung, das mysteriöse Mädchen wiederzusehen.

Der Blick schweifte umher, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt. Enttäuscht kehrte ich zu meiner Bank vor der Bibliothek zurück.

Nachdem ich meinen kleinen Snack beendet hatte, saß ich kurz mit geschlossenen Augen da und versuchte mich an das Gesicht des Mädchens zu erinnern. Dann kehrte ich wieder nach oben zurück und arbeitete weiter an dem Design meiner Website. Überraschenderweise tauchte das Mädchen, begleitet von einer Freundin, zwischen den Bücherregalen auf. Die beiden gingen auf meinen Tisch zu. Sie lächelte erneut, und ich erwiderte das Lächeln.

»Sind die beiden Plätze noch frei?«, flüsterte sie, als sie vor meinem Tisch stand.

»Ja, klar«, erwiderte ich.

Sie setzten sich, holten Bücher und Laptops heraus, und mein Herz begann merkwürdig zu pochen. Während sie auf ihrem Laptop tippte, konnte ich nicht umhin, ab und zu in ihre Richtung zu schauen. Lange Fingernägel, Ringe an den Händen. Wenn ich mich nach hinten lehnte, sah ich ihr Bein, das über das andere geschlagen war. An ihren Füßen trug sie schwarze Nike-Sportschuhe. Ab und zu trafen sich unsere Blicke, und wir lächelten uns an. Es kribbelte leicht im Bauch.

Die Aufregung verließ mich auch draußen nicht. Das freundliche Lächeln schien mich verzaubert zu haben. Ich versuchte, im Hier und Jetzt zu sein, doch meine Gedanken wanderten ständig zu diesem faszinierenden Mädchen. Ich hoffte, dass sie rauskommt. Doch sie kam nicht.

Als ich wieder nach oben ging, zählte ich die Stufen, um meine Aufregung zu zügeln. Glücklicherweise waren die beiden noch da. Ich ging auf sie zu, erstaunt über ihr langes, blondes Haar, und als ich an ihr vorbeiging, bemerkte ich, wie sie über WhatsApp-Web mit jemandem schrieb. Zurück an meinem Platz versuchte ich, meine Aufregung zu verbergen.

Ihre Freundin stand ab und zu auf, um ein Buch zu holen. Als sie es auf den Tisch legte, konnte ich den Titel lesen: »Women and the Gothic«. Etwa eine Stunde verging, in der ich mich etwas beruhigen konnte. Doch dann vernahm ich von rechts ein leises Flüstern: »Ich denke, ich werde mich gleich in einer halben Stunde auf den Weg machen.«

Mein Herz begann erneut zu rasen. »Ich darf sie nicht gehen lassen«, dachte ich, wagte es jedoch nicht, sie anzusprechen. Vor lauter Nervosität ging ich auf die Toilette, um tief Luft zu holen und sie dann anzusprechen.

Als ich wieder auf sie zulief, zögerte ich erneut, lief an ihr vorbei und setzte mich zurück an meinen Platz. Ich überlegte, was ich tun könnte, und endlich fiel mir eine Idee ein. Ich packte meine Sachen und verließ die Bibliothek.

Draußen auf der Wiese pflückte ich fünf Gänseblümchen und setzte mich vor den Eingang der Cafeteria. Mein Blick fixierte den Ausgang der Bibliothek.

»Bald müsste sie kommen«, dachte ich und roch an den Blümchen. Rauchende Studenten neben mir warfen neugierige Blicke auf meinen Blumenstrauß.

Endlich kamen sie heraus, sie und ihre Freundin. Sie liefen auf mich zu, aber die Angst überkam mich erneut.

»Nein, du wirst diese Chance jetzt nutzen«, dachte ich. Entschlossen stand ich auf und holte sie ein.

»Hey«, rief ich von der Seite dem Mädchen zu. Sie bemerkte mich.

»Hi«, erwiderte sie und schaute mich überrascht an.

»Ich saß eben neben dir in der Bibliothek, habe mich aber nicht getraut, dich anzusprechen.«

»Hier«, reichte ich ihr die Blümchen, »sie sind für dich.«

»Oh, danke«, nahm sie die Blumen an.

»Ich will auf ein Spazierdate mit dir gehen. Hättest du Lust?«

»Ja, warum nicht«, antwortete sie ohne jegliche Emotion.

»Sehr schön. Freut mich. Ich geb dir dann meine Nummer, dann kannst du mir schreiben.«

Sie reichte mir ihr großes Handy.

»Wie heißt du?« fragte ich sie, während ich meinen Vornamen eintippte.

»Anna«, antwortete sie.

»Alexander. Freut mich«, erwiderte ich und reichte ihr meine Hand.

»Ups, dein Handy ist wieder gesperrt«, als ich weiter meine Nummer eintippen wollte. Sie entsperrte es und gab es mir wieder.

»Ich trage mal auch meinen Nachnamen ein, falls du bereits einen Alexander in der Liste hast.«

»Okay«, reagierte sie.

»Hast du morgen Zeit?«

»Nein, morgen bin ich mit meiner Freundin«, sie schaute ihre Freundin an, die daneben stand, »schwimmen an einem Badesee.«

»Okay, schreib mir einfach, sobald du Zeit hast.«

Ich gab ihr Handy zurück. »Ach und noch eine Sache«, sagte ich, bevor sie wieder weggingen, »Du wirst gleich oder etwas später Zweifel bekommen, ob du mich treffen sollst oder nicht. Versuche diesem Zweifel zu widerstehen.«

»Okay. Bis dann!« erwiderte sie mit einem Schmunzeln im Gesicht.

»Mach's gut!« verabschiedete ich mich und ging in die entgegengesetzte Richtung.

Meine Laune schoss in die Höhe. Ich fühlte mich so stolz, dass ich den Mut aufgebracht hatte. Mit einem anhaltenden Grinsen lief ich bis zur Lilienstraße, wo ich den Bus nach Hause nehmen konnte.

...