Der kleine Alltagsstoiker. Frühstück mit Julia.
Der kleine Alltagsstoiker. Frühstück mit Julia.
8. September 2024. Ich wache gegen 9:00 Uhr auf. Neben mir liegt Julia. Eigentlich wollte ich zum Bäcker gehen und Brötchen kaufen, um lecker zu frühstücken, aber das ging gerade nicht, da Julia sich traurig fühlte. Sie weiß nicht wirklich, was ich für sie empfinde, sie fühlt sich unsicher, was meine Gefühle ihr gegenüber angeht. Ich mag sie. Mein Herz ist allerdings noch verschlossen; ich bin auf keinen Fall verliebt wie damals in Mara.
Man merkt auf jeden Fall, dass Julia in der Lage ist, tief in mich hineinzuschauen und die wahren Empfindungen und Gefühle offen zu legen, die ich selbst nicht ausdrücken kann. Ich habe ihr gesagt, dass ich Zeit brauche. Wir kennen uns noch nicht so lange, und ich habe eine Metapher mit einer Blume verwendet: Unsere Beziehung ist wie ein Samen, der noch nicht gewachsen ist. Mit der Zeit werden wir ihm genügend Sonne, Nährstoffe und Wasser geben, und dann werden wir sehen, ob uns die daraus entstehende Blume gefällt oder nicht. Aber ich merke auch, dass mein Herz Angst hat, sich wirklich auf Julia einzulassen, wahrscheinlich aus Angst, verletzt zu werden.
Nach unserem Gespräch bin ich einkaufen gegangen, um ein leckeres Frühstück vorzubereiten. Ich habe der Bäckerin gesagt, dass sie die Brötchen bitte in meine Stofftüte legen soll. Sie hat sich sehr darüber gefreut und fand es sympathisch, dass ich unverpackt eingekauft habe.
Das Frühstück mit Julia war zuerst traurig. Julia schaute nur nach unten, ähnlich wie am Ende der Beziehung mit Jule. Sie bekam Tränen in den Augen, und die Situation überforderte mich. Ich habe ihr offen und ehrlich gesagt, wie ich mich fühle, und sie hat mich verstanden. Auch für sie war die Situation neu, da sie in letzter Zeit einen drastischen Umschwung in ihrem Leben erlebt hat: von einem Leben mit wenigen Menschen zu einem mit plötzlich vielen – durch die Umschulung, das Festival und dann mich. Wir haben darüber gesprochen und beschlossen, erst mal alles sacken zu lassen, bevor wir uns wiedersehen.
Julia hat im Laufe des Frühstücks deutlich bessere Laune bekommen und sogar gelächelt. Es ist erstaunlich, wie viel Kommunikation ein Mensch braucht. Ich hatte zwar gesagt, dass ich für offene und ehrliche Kommunikation bin, aber ich wusste nicht, dass sie so viel davon braucht. Es wirkt für mich etwas überwältigend, da ich scheinbar gerne von Problemen flüchte. Diesmal werde ich das anders machen. Ich werde offen über das sprechen, was sie bewegt, und auch über das, was mich bewegt.
Als wir über Smalltalk und Nachrichten geredet haben: Ich finde es cool, dass sie genauso wie ich keine Nachrichten schaut, da sie überwiegend negativ sind.
Ich mag an ihr noch einen weiteren Punkt, der bei Jule nicht vorhanden war: „Die Hautärztin hat gesagt, dass ich genetisch bedingten Haarausfall habe, gegen den nichts zu machen ist. Aber ich glaube nicht, was sie sagt. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich es schaffe, meine Haarpracht wieder dicht zu bekommen“, sagte ich zu Julia, nachdem ich ihr erzählt hatte, dass die kahle Stelle am Hinterkopf an meinem Selbstwertgefühl nagt. Sie ist der gleichen Meinung wie ich und geht sogar so weit zu sagen, dass Typ-1-Diabetes heilbar ist – man muss nur herausfinden, wie. Ich schätze diese Einstellung an ihr sehr.
Nach dem Frühstück haben wir uns verabschiedet. Ihr Blick ist leer, als hätte sie eine Art Depression oder depressive Verstimmung. Sie sieht auf jeden Fall nicht gesund aus. Ich hoffe, dass es nur vorübergehend bei ihr ist.
Direkt nachdem Julia weggefahren war, hat mich Mama angerufen und gefragt, ob ich vorbeikommen möchte. Ich habe zugestimmt, die Küche aufgeräumt und bin nach Borsum gefahren.
Es gab selbstgebackene Kekse in Borsum. Mama geht’s nicht gut. Sie ist immer müde und antriebslos. Sie freut sich schon auf die neue Arbeitsstelle in November. Ich vermute sie hat auch einen Nährtoffmangel durch einseitige Ernährung: Viel Brot und vegane Ersatzproduke.
Ich habe gelesen, dass eine unentdeckte Glutenunverträglichkeit zu kreisrundem Haarausfall führen kann. Wenn ich also diese Unverträglichkeit habe und weiterhin Brot und Nudeln esse, könnte das den kreisrunden Haarausfall an meinem Hinterkopf auslösen. Mir ist auch aufgefallen (ob das Einbildung ist oder nicht, weiß ich nicht), dass meine kahle Stelle am Hinterkopf dichter geworden ist. Aber so schnell kann es doch nicht gehen, oder?
Ich bin dann noch ein bisschen spazieren gegangen. Es ziehen dicke Wolken auf, und es scheint, als würde es gleich regnen. Ich habe mich im Espresso House hingesetzt, wo ich zufällig Mascha und Tobi getroffen habe.
Ich habe mich an einem anderen Platz gesetzt, weil ich Ruhe brauche. Ich vermisse ein bisschen Julia.
Ich gehe entlang der Bahnhofsallee zum Bahnhof, der Wind wird stärker und der Himmel ist dunkel und bewölkt. Das erinnert mich an den Albtraum vor einigen Tagen, und ich fühle ein unheimliches Gefühl.
Im Bücherladen am Bahnhof habe ich mir die Sachbuchabteilung angeschaut und das Buch „Der kleine Alltagsstoiker“ von Jörg Bernardy hat mich angesprochen. Ich habe es mir für 17 Euro gekauft.
Ich habe mich am Nordfriedhof hingesetzt und das Buch durchgeblättert, während im Hintergrund der Donner brummte und die Blätter der Bäume im Wind raschelten.
Ich habe Telegram-Account wieder gelöscht. Ich werde auch ohne Telegram-Gruppen gute Veranstaltungen in Hildesheim finden können. Ich mag lieber das Leben ohne Instantmessenger.