Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

7. Mai 2024: Universum, überrasch mich positiv! Die Überraschung: WG-Mitbewohner kündigen meinen Mietvertrag

7. Mai 2024. Um halb fünf bin ich auf dem Balkon aufgewacht. Irgendwie konnte ich nicht weiterschlafen. Ich fühlte mich nicht wirklich müde. Ich bin aufgestanden. Mama ist gleichzeitig aufgestanden, weil sie zur Frühschicht musste. Ich habe mit ihr Kaffee getrunken und ein paar Toasts gefrühstückt. Als sie weg war, habe ich in Lauras Zimmer mein Tagebuch weitergeschrieben und recherchiert, ob es gesundheitliche Vorteile hat, draußen zu schlafen:

  1. Verschiebung meiner circadianen Uhr, um sich an den natürlichen Zyklus (Sonnenauf- und Untergang) anzupassen.
  2. Verbesserung der Gehirnleistung (Konzentrations-, Speicher- und Denkfähigkeit).
  3. Verbesserung der psychischen Gesundheit.
  4. Boost des Immunsystems.
  5. Ganze Nacht frische Luft.

Ich war irgendwie müde. Habe mich kurz auf Lauras Bett gelegt und bis 9:20 Uhr geschlafen. Am liebsten hätte ich den Bus um 10:18 Uhr genommen. Leider fährt der um diese Zeit nicht. Also habe ich den nächsten genommen.

Da ich bis zum Bus noch Zeit hatte, habe ich mein Tagebuch ein bisschen ins Englische übersetzt und ein bisschen meditiert. Ich bin auf den Balkon gegangen. Die Wolkendecke war dunkel und hing ziemlich tief. Keine Sonne weit und breit. Irgendwie bedrückt mich solches Wetter. Früher mochte ich es, wahrscheinlich weil ich es als Ausrede benutzt habe, um zu Hause zu bleiben.

Ich schloss die Augen, formte die Hände zum Gebet, schaute nach oben und flüsterte: »Liebes Universum, lieber Gott, überrasche mich heute positiv. Danke!« Mit diesem Wunsch ans Universum machte ich mich auf den Weg nach Hannover.

Nach der Busfahrt kam die Zugfahrt. Ich schaute auf die vorbeiziehenden Felder und Wiesen. Plötzlich hörte ich ein Summen. Eine Biene setzte sich auf meine rechte Schulter. Ich war etwas überrascht, blieb aber ruhig. Wie die Spinnen will sie mir nichts tun. Sie will einfach nur leben und ihr Ding machen. Aber als sie den Oberarm entlang in Richtung Hals wanderte, wurde ich unruhig. Mit einem kleinen Pusten konnte ich ihre Richtung ändern. Sie flog noch ein Stück den Oberarm hinunter und dann zum hinteren Fenster. Ich schaute nach hinten. Der Mann wurde unruhig und setzte sich auf den Nebensitz.

»Ich lasse dich gleich raus«, dachte ich und zückte meine Bankkarte. Noch während ich darüber nachdachte, hielt der Zug in Kleefeld. Ich schaue aus dem Fenster und sehe Sarah, die Medizinstudentin mit dem Muttermal auf der Lippe. Sie hatte Kopfhörer auf und hat mich wahrscheinlich nicht gesehen, obwohl sie irgendwie einen kurzen Blick in mein Fenster geworfen hat. Ich mache ihr keinen Vorwurf. Sie ist ein netter Mensch.

Als wir ausstiegen, stand Sarah an der Zugtür und stieg als Erste aus. Ich fragte den älteren Mann, wo die Biene sei. Er sagte, sie sei weitergeflogen. Das fand ich schade, denn so bleibt sie noch länger in diesem Zug gefangen.

Als ich unten an der Treppe ankam, war Sarah nirgends zu sehen. Liebes Universum, dachte ich, das war eine Überraschung, aber eher eine neutrale als eine positive.

Ich fuhr kurz in die WG, um den Müll rauszubringen, was ich laut wöchentlichem Putzplan tun musste. Als ich zu Hause ankam, brachte ich den Müll raus und ging kurz in mein Zimmer, um mein Hardcover-Tagebuch zu holen. Auf der Heizung entdeckte ich einen Brief, auf dem mein Name stand. Das sieht nach einer Überraschung aus, dachte ich. Die Handschrift sah aus wie die von Lina. Neugierig öffnete ich den Umschlag.

Als ich den Zettel herauszog, sah ich schon den Absender: Lina (Hauptmieterin) und die Adresse. Gleich darunter zwei weitere Absender: Lara und Thomas. Weiter unten der Empfänger: Alexander Fufaev. Ich spürte schon, dass etwas nicht stimmte. Ich faltete das Blatt auseinander und las die Überschrift, die mich kurz aus der Fassung brachte: »Kündigung des Mietverhältnisses in der Wohngemeinschaft, die Adresse, 1.OG, Zimmer 1«.

Mein Herz schlug schneller und in diesem Moment spürte ich ein Gefühl der Ablehnung. Ich lass weiter:

»Sehr geehrte Herr Fufaev,

hiermit kündigen wir das oben genannte Mietverhältnis vom 15.05.2023 fristgerecht zum 01.05.2024. Entsprechend der gesetzlichen Frist endet das Mietverhältnis offiziell nach Ablauf von drei Monaten zum 31.07.2024. Die Festsetzung eines früheren Auszugsdatums ist jederzeit möglich. Mit diesem Datum enden alle bis dahin bestandenen Ansprüche zwischen den Mietparteien.

Bitte bestätigen Sie den Erhalt dieses Schreibens und infomieren Sie uns frühestmöglich über den Wohnugnsabgabetermin.«

Ich atmete tief durch. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Lina dahinter stecken könnte. Wut auf meine Mitbewohner brach aus, vor allem auf Lina. Rachegefühle stiegen in mir auf. Was konnte ich tun, um es Lina heimzuzahlen? Wieder atmete ich tief durch. Nein, das wäre eine schwache Reaktion von mir. Es war die perfekte Gelegenheit zu lernen, nicht mit Rache und Hass zu reagieren. Niemand verdient Rache. Die drei werden schon einen guten Grund haben, wenn sie alle drei wollen, dass ich aus der WG ausziehe, dachte ich.

Ich ging wieder. Die Wolken waren noch dunkler geworden. Ich war auf dem Weg zum Conti-Campus, um dort bei einem Kaffee alles in meinem Tagebuch zu verarbeiten. Auf dem Weg zum Campus erinnerte ich mich an Bodo Schäfers Worte aus der Reichtumsaffirmation: Jedes Problem als eine Chance zu sehen, um zu lernen und zu wachsen.

Ich sitze draußen am Tisch, nippe an meinem Kaffee und schreibe alles auf. Während ich die Situation und meine Gefühle niederschreibe, merke ich, wie die Wut auf meine Mitbewohner und die Traurigkeit langsam verschwinden. Allerdings hatte ich keine Motivation mehr, noch länger in Hannover zu bleiben und neue Leute kennenzulernen. Ich musste alles noch einmal sacken lassen.

Nach dem Kaffee bin ich zurück nach Borsum gefahren. Als ich am Kröpcke aus der Straßenbahn stieg, kam die Sonne aus einem kleinen blauen Fleck am Himmel, der sich zwischen den dicken grauen Wolken aufgetan hatte. Ich drehte mein Gesicht der Sonne zu und flüsterte ein Dankeschön. Irgendwie verwandelte sich das traurige Gefühl in ein positives. Alles passiert so wie es passieren muss.

Wenn ich ehrlich mit mir bin: Eigentlich habe ich mich in der WG nicht wohl gefühlt und deshalb viel mehr Zeit in Borsum verbracht. Meine Mitbewohner sind zwar nett und ich kann mit ihnen wirklich über alles reden, aber ich konnte mich nicht wirklich mit ihnen anfreunden und habe deshalb in letzter Zeit den Kontakt zu ihnen gemieden. Daher kann ich die drei gut verstehen, dass sie sich eine vierte, passendere Person für die WG wünschen. Wenn ich der Hauptmieter wäre, würde ich den dreien auch die Zimmer kündigen. Hust. (kleiner Scherz).

Meine Theorie ist, dass Lina sich eigentlich eine Beziehung mit mir wünscht (so kommt es mir manchmal vor), ich das aber nicht will. Wenn ich ihr manchmal erzähle, dass ich Frauen anspreche, gleichzeitig aber überhaupt kein Interesse an ihr zeige, fühlt sich Lina zurückgewiesen. Sie zeigt es nicht nach außen, aber man sieht es ihr ein bisschen an. Das erzeugt Wut in ihr, die sie unterdrückt. Jetzt bricht sich die Wut subtil Bahn, und ein Zeichen dafür ist, dass sie mir die Wohnung gekündigt hat. Das ist aber nur meine Theorie.

Ich fuhr nach Hildesheim. Im Zug, kurz vor dem Aussteigen, ist mir etwas sehr Unangenehmes passiert. Ich glaube, es war die unangenehmste Situation, die ich in den letzten Jahren erlebt habe.

Eine junge Frau schaut mich die ganze Zeit an und lächelt. Ich schaue zurück und lächle natürlich auch. Dann wendet sie ihren langen Blick ab. Ich steige hinter ihr aus. Sie dreht sich um und lächelt mich wieder an. Obwohl ich heute nicht wirklich motiviert war, Leute anzusprechen, hob sie meine Stimmung. Für mich war das ein deutliches Zeichen von Interesse.

Ich holte sie ein.

»Hey!«

»Hallo.«

»Du hast mich die ganze Zeit so süß angelächelt. Hast du mit mir geflirtet?«

»Nein, nein. So war das nicht gemeint. Tut mir leid, das wollte ich nicht«, reagierte sie irgendwie schüchtern.

Ich war etwas verwirrt über ihre Reaktion. Erst so ein selbstbewusster, langer, freundlicher Blick und jetzt so schüchtern und abweisend.

»Es war trotzdem voll schön dein Lächeln. Es hat mich irgendwie aufgemuntert«, sagte ich von der Seite, als wir die Treppe hinuntergingen. »Wie heißt du?«, fragte ich sie am Ende der Treppe, wo wir kurz stehen blieben.

»Elisabeth. Warum?«

Der Name hat mich etwas überrascht. »Einfach so. Lass uns kennen lernen«, schlug ich vor, »ich heiße Alexander.«

»Ich weiß nicht.«

»Was machst du gerade so?«

»Ich fahre von der Arbeit nach Hause. Was arbeitest du?«

»Ich bin Physiker und Schriftsteller.«

»Oh, cool. Ich muss hier lang«, sagte sie und zeigte auf die Treppe, die zu einem anderen Gleis führte.

»Bevor du gehst«, schaute ich sie von der unteren Treppe aus an, »zeig mir deine Hand«, sagte ich und öffnete meine rechte Handfläche, um ihr zu zeigen, wie ich ihre Hand sehen wollte.

»Nein. Warum?«, kam es plötzlich aus ihr heraus. Ich schaute auf ihre Hand. Es war eine Prothese. Sie versteckte sie sofort in ihrer Jackentasche.

Ich war etwas verwirrt, überrascht und fragte unüberlegt: »Ich kann Hände lesen. Kannst du mir deine andere Hand zeigen?«

Dann schaute ich auf die andere Hand und sah, dass sie dort auch eine Prothese hatte.

»Ich möchte nicht«, sagte sie hastig und ging weiter.

Ich blieb einen Moment wie erstarrt stehen und sah zu, wie sie die Treppe hinaufging. Ein sehr unangenehmes Gefühl breitete sich in mir aus. Einerseits schämte ich mich für meine Fragen, andererseits wollte ich sie nicht verletzen.

Das unangenehme Gefühl legte sich erst, als ich in Borsum ankam und mit Mama über die Wohnungskündigung sprach. Wir saßen am Esstisch und aßen die Falafeldöner, die ich aus Hildesheim mitgebracht hatte. Irgendwie erhoffte ich mir von Mama seelische Unterstützung.

»Mit deinem Lebensstil wirst du nie eine Wohnung finden.«

»Such dir einen richtigen Job.«

»Denk ans Alter. Du wirst keine Rente bekommen.

»Niemand wird dich so haben wollen.«

All das habe ich gehört. Ich weiß, dass Mama nur das Beste für mich will, aber leider hat sie mich damit nur noch weiter runter gezogen.

»Mama? Erinnerst du dich nicht an die Affirmation, die wir zusammen gehört haben?«

»Hm?«

»Es ist okay, ein Leben zu führen, das andere nicht verstehen. Es ist mein Leben!«, zitierte ich Bodo Schäfer.

Sie schwieg. Zumindest verbal hat sie es akzeptiert. Aber innerlich leider nicht. Sie sieht mich als Physikprofessor an der Universität, mit einem Jackett und einem guten Gehalt. Das ist leider nicht mehr meine Vorstellung von meiner Zukunft.

Ich habe mir schon ein paar neue WGs gesucht und ein paar Anfragen verschickt. Später kam Mama wieder und entschuldigte sich für ihre Reaktion. Ich konnte sie verstehen, denn ich war auch nicht besser, wenn es um sie und Julien ging. Anstatt Mitgefühl zu zeigen, habe ich ihr unnötige Ratschläge gegeben, wie es meiner Meinung nach besser für Mama wäre.

Das minimalistische WG-Zimmer von Alexander Fufaev am Jahnplatz in Hannover