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30. Mai 2024: Taubeneier tauschen und der Tag, an dem ich aufhörte zu suchen, wer ich bin

Alexander Fufaev

30. Mai 2024: Taubeneier tauschen und der Tag, an dem ich aufhörte zu suchen, wer ich bin

30. Mai 2024. Sobald ich morgens die Augen öffne, überwältigt mich ein Meer von Gedanken. Ich erkenne sie, dieses Meer, als Außenbeobachter. Es ist jedoch gar nicht so einfach den Außenbeobachter sich komplett aus diesem Meer zu lösen. Es zieht einen zurück ins Meer.

Nach dem Aufstehen habe ich mit Laura und Mama gefrühstückt. Mama gibt mir wieder irgendwelche Ratschläge und akzeptiert mein Leben nicht. Das ist einfach immer frustrierend. Aber so ist sie nun mal. Ich kann sie eh nicht ändern und sie mich auch nicht.

Gegen Mittag bin ich dann wieder nach Hannover gefahren. Nachdem ich kurz in der WG war, bin ich in die Innenstadt gefahren und habe dort das blaue Buch von Eckhart Tolle weitergelesen. Scheinbar erzeugt nicht nur der Begriff »mein« unnötiges Leid, sondern auch andere Strukturen des Egos, wie »mehr als«, »ich will«, »ich brauche« und »nicht genug«. Ich versuche daher auch diese Formulierungen so sparsam wie möglich zu verwenden. Alexander Fufaev im Hugendubel liest das Buch von Eckhart Tolle

Eine andere typische Identifikation, die unnötiges Leid erzeugt, ist die Identifikation mit dem eigenen Körper, insbesondere mit dem eigenen Geschlecht. Sobald man sich als »Mann« oder »Frau« identifiziert, zwingt man sich bestimmte Merkmale auf, die man eben als »Mann« oder »Frau« erfüllen muss. Wenn ich also das Ich nicht mit meinem Körper verbinde, bin ich weniger anfällig für die Leiden des Alterns, für Krankheiten und andere unerwünschte Dinge, die dem Körper widerfahren.

Es gibt zwei Arten des Bewusstseins: Das Bewusstsein welches mit dem Denken verknüpft ist und das Bewusstsein, das erkennt, dass man denkt. In meinen letzten Tagen habe ich diese zweite Art des Bewusstseins verwendet. Ich habe es nur der Außenbeoabchter genannt, der die Gefühle und Gedanken beobachtet.

Sich beschweren, sich ärgern, nachtragend sein, Recht haben, das sind alles Mechanismen des Ego-Bewusstseins, um sich über andere zu stellen. Bei mir ist vor allem das Rechthaben ausgeprägt. Das ist mir jetzt etwas bewusster geworden.

Nach meinem Aufenthalt im Café setzte ich mich auf das bequemere Sofa und las das Buch von Eckhart Tolle weiter.

Heute habe ich eine der wichtigsten Erkenntnisse aus diesem Buch für mich mitgenommen: Aufhören zu suchen, wer ich bin und was meine Lebensaufgabe ist.

Als ich diese Erkenntnis beim Kapitel »von Selbstdefinitionen ablassen« bekommen habe und sie kurz sacken lassen, habe ich eine plötzliche Erleichterung gespürt. In diesem Moment spürte ich, dass dies eine der wichtigsten Einsichten war, die ich in den letzten Jahren gewonnen hatte.

Ich habe immer verzweifelt danach gesucht, wer ich in dieser Welt bin und was meine wahre Lebensaufgabe ist. Aber jetzt ist mir klar geworden, dass ich diese Suche nach der wahren Identifikation gar nicht brauche und dass diese Suche nur unnötiges Leid, unnötige Verzweiflung erzeugt, die immer im Hintergrund mitschwingt. Ich danke Eckhart Tolle so sehr für seine Bücher, die mich allmählich aus meiner Ego-Verblendung befreien. Es ist, als würde ich langsam aus der Matrix der Unbewusstheit erwachen.

Ich habe mir bei »Pommesglück« Pommes geholt, um meinen Hunger zu stillen. Es war sehr grau und es regnete. Mein Ego-Ich war dementsprechend in dieser trüben Stimmung.

Beim Essen hörte ich einer jungen Sängerin zu, die anscheinend mit ihren Eltern da war. Am Kröpcke war ein Theater. Tote Syrer lagen auf dem Boden und es wurde dramatische Musik gespielt. Mein Ego-Ich wollte weinen. Es war sehr emotional. In so einer Situation hatte mein höheres Bewusstsein (der Außenbeobachter) keine Chance, nur zu beobachten. Also ging ich weiter.

Auf dem Weg sprach mich ein Tänzer mit aufgeblähtem Bauch an, der ein paar Tage zuvor zu türkischer Musik getanzt hatte. Zuerst dachte ich, er sei betrunken, aber er schien nur geistig behindert zu sein. Er lebte wahrscheinlich nicht auf der Straße. Er hat mich um einen Euro gebeten. Ich habe ihm den Euro gegeben. Auf seiner Hand hat er angefangen, jedem Finger einen seiner Freunde zuzuordnen.

»Das ist Andreas«, sagt er etwas undeutlich und zeigt auf den kleinen Finger seiner Hand, die er vor mir in die Luft streckt.

»Das ist Martin«, fuhr er fort und zeigte auf seinen Ringfinger.

So ging es weiter bis zum Zeigefinger.

»Und wer ist der Daumen?«, fragte ich ihn, weil er ihn ausgelassen hatte. »Das bist du«, sagte er und umarmte mich.

Er hob meine trübe Stimmung ein wenig.

Ich las weiter im Hugendubel, bis 19 Uhr. Dann war es Zeit, zum Döhrener Turm zu fahren, wo ich mich mit Lis zum Eiertauschen verabredet hatte. Als ich dort ankam, war sie noch nicht da, also hab ich mir bei Lidl zwei Bananen geholt. Als ich wieder rauskam, kam auch Lis mit ihrem Freund Paul.

Gemeinsam holten wir eine Leiter von nebenan und gingen zu einer Brücke an der Zeisstraße. Unser Ziel war es, die echten, noch nicht entwickelten Eier gegen Attrappen auszutauschen, damit die Taubenpopulation in der Stadt nicht noch größer wird.

Auf dem Weg zu den Taubennestern habe ich von den beiden viel über Tauben gelernt. Die beiden machen schon seit 5 Jahren bei der Taubenrettung mit und wissen viel darüber.

»Willst du mit raufklettern?«, fragte mich Lis, als wir unter der etwa 5 Meter hohen Brücke standen.

»Klar, vom Zuschauen lernt man nicht viel«, antwortete ich.

Wir zogen beide Warnwesten an, damit die Passanten nicht fragen, was wir da oben machen.

»Die Warnwesten geben uns einen offiziellen Charakter«, erklärte Paul.

Paul hielt die Treppe fest, und Lis und ich kletterten die Treppe hinauf in einen halben Meter breiten Spalt zwischen der Mauer und der Brücke darüber. Dort war alles voller trockener Taubenkot und es war zuerst etwas eklig, in den Spalt zu klettern. Aber immerhin konnte ich meine schwarze Hose hinterher mit Wasser aus meiner Flasche säubern.

Man musste schon sehr gelenkig und nicht zu groß sein, um sich durch den Spalt zu den Nestern bewegen zu können.

»Spürst du, dass die Eier noch warm sind?«, fragte mich Lis und drückte mir zwei echte Taubeneier in die Hand.

»Oh ja, die sind ganz warm.«

Lis leuchtet mit einer Taschenlampe auf die Eier, um zu sehen, ob der Embryo schon zu weit entwickelt ist. Wenn das Ei bis zur Hälfte rot und mit Blutgefäßen durchzogen ist, nehmen sie die Eier mit. Das ist aber auch schon die Grenze. Wenn die Blutgefäße schon im ganzen Ei verteilt sind und das Ei rot ist, wenn es leuchtet, dann lassen sie die Eier drin.

Wir kommen zu einem anderen Nest. »Hier, fühl mal«, sagt Lis und reicht mir zwei weitere echte Eier, »die Schale ist ganz rau«, erklärt sie, während ich die Eierschale berühre, »die Taube hat einen Kalziummangel.«

»Sie wurde wohl mit zu viel Brot gefüttert«, scherzte ich.

Nachdem wir die vier Nester auf der einen Straßenseite kontrolliert und vier echte Eier gegen vier künstliche ausgetauscht hatten, kletterten wir wieder hinunter. Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen Angst hatte, als ich die Leiter hinunterkletterte. Sie hat gewackelt und vorher hat es geregnet. Es war ziemlich rutschig.

»Da drüben sind auch noch zwei Nester«, zeigt Lis auf zwei weitere Stellen unter der Brücke.

An diesen Stellen war der Spalt wahrscheinlich nur dreißig Zentimeter breit. Da konnten wir nicht durchklettern. Der Spalt war aber auch nicht sehr tief, so dass man nur die Leiter hochklettern musste, und die Nester waren direkt vor der Nase.

An der ersten Stelle überprüfte Lis das Nest. Die Kunsteier waren noch da, aber kalt. Das bedeutet, dass dort keine Taube brütet und die Kunsteier mitgenommen werden können.

Zum zweiten Nest bin ich die Leiter hochgeklettert.

»Halt dich gut fest und hab keine Angst, wenn da eine Taube brütet. Die machen nichts, außer mit den Flügeln zu schlagen«, ruft Lis von unten.

Ich klammerte mich noch fester an die Leiter und war bereit, gleich auf eine Taube zu treffen. Kurz bevor ich oben ankam, erschreckte mich eine wegfliegende Taube. Im Korb waren vier Eier. Zwei davon waren Kunsteier, die anderen beiden waren echt. Die echten nahm ich mit nach unten. Alexander Fufaev hat zwei Taubeneier in der Hand - Taubenrettung Hannover

Dann haben wir die andere Seite der Brücke kontrolliert. Dort war auch nur ein Nest.

Nach dem Eiertausch sind wir zurück zum Lidl gefahren, haben die Leiter in der Nähe abgestellt und uns verabschiedet. Ich habe meine Hose kurz mit Wasser gewaschen und bin dann nach Hause gefahren.

Ein Mann vor der Rolltreppe zu den Straßenbahnen hat eine Münze fallen lassen. Er bleibt kurz vor der Rolltreppe stehen und sucht nach der Münze. Er findet sie nicht und nimmt die Rolltreppe. Ich gehe zur Rolltreppe und sehe sofort die Münze. Ich hebe sie auf und gehe die Treppe hinunter. Ich hole den Mann auf der Rolltreppe ein und reiche ihm die 50-Cent-Münze.

Vor ein oder zwei Jahren wäre ich noch in mein Handy vertieft gewesen und hätte nicht einmal bemerkt, dass jemand eine Münze fallen lässt. Ich nehme die Umwelt um mich herum viel stärker wahr als noch vor zwei Jahren.

In der Küche saßen Lara und Lina und haben Pizza gegessen. Wir haben uns kurz unterhalten und dann bin ich in mein Zimmer gegangen. Ich habe das Fenster weit aufgemacht und nach dem Zähneputzen bin ich ins Bett gegangen.


Learning: Ich sollte aufhören zu suchen, wer ich bin und welchen Sinn ich in diesem Leben habe. Das erspart mir viel Leid.