Alexander Fufaev
Ich heiße Alexander FufaeV und hier schreibe ich über:

29. Juni 2024: Rufnummerunterdrückung eingeschaltet. Stefanie ist wieder aufgetaucht. Ist das Stalking?

29. Juni 2024. Ich wache auf. Es klopft an der Balkontür. Durch die Vorhänge sehe ich einen Schatten. Jemand steht auf dem Balkon. Ich schaue auf mein Handy. Es ist 7:07 Uhr. Ich stehe auf und öffne die Balkontür. Stefanie ist auf den Balkon geklettert. Sie trägt einen hellblauen Kittel, ist barfuß und trägt eine Sonnenbrille. Draußen ist es noch kühl und wahrscheinlich friert sie. In der Hand hält sie einen Igel.

»Guten Morgen. Habe ich dich geweckt?«

»Ja«, reagiere ich schon genervt.

»Gibt es hier irgendwo einen Tierarzt? Ich habe einen verletzten Igel gefunden.«

»Hier nicht, aber in Hildesheim«, antworte ich und mir schießt ein seltsamer Gedanke durch den Kopf: Vielleicht hat sie den Igel selbst verletzt, um einen Vorwand zu haben, in die Wohnung zu kommen, oder meine Mutter fährt ihn zum Tierarzt.

»Warum bist du nicht in der Klinik? Ich habe dir doch gesagt, dass du nicht auf den Balkon klettern darfst«, versuche ich entspannt zu fragen, ohne die Situation eskalieren zu lassen.

»Ich bin entlassen worden«, sagt sie. »Ich wollte dich wecken, ich darf ja nicht klingeln.«

»Das ist nett von dir, dass du nicht geklingelt hast, aber ich möchte nicht so früh geweckt werden. Du kannst mich anrufen, aber nicht so unangemeldet hier auf dem Balkon auftauchen«, antworte ich.

»Wie soll ich anrufen? Ich habe kein Handy und um diese Zeit habe ich niemanden gefunden, der mir eines leiht.«

»Wenn meine Mutter dich hier noch einmal sieht, wird sie ausrasten. Wo willst du jetzt sein? Schlafen, essen? Ich kann dir nichts anbieten. Das ist nicht meine Wohnung hier.«

»Dann gehe ich eben zu Jimmy. Er findet mich interessant und nicht wie die anderen Frauen, die ihm nachlaufen.«

»Du bist interessant und anders als die meisten Frauen. Das finde ich auch. Aber noch einmal: Du darfst hier nicht auf den Balkon klettern, sonst ruft meine Mutter die Polizei. Das ist ihr Balkon, da hast du nichts zu suchen. Wir streiten uns deswegen!«

»Was kann ich dafür, dass ihr euch streitet«, sagt sie. »Du bist überhaupt nicht beziehungsfähig, weißt du das?«, wechselt sie das Thema.

»Ich will auch keine Beziehung mit dir. Wir können Freunde sein, wenn du meine Grenzen akzeptierst. Wenn du das nicht tust, dann kann ich mir auch keine Freundschaft vorstellen.«

»Ich nehme meine Sachen und gehe jetzt.«, nimmt sie ihre Tüte mit den Sachen, die sie damals bei uns vor der Notaufnahme hinterlassen hat, »und sag Oxana danke fürs Wäschewaschen«

»Mache ich, tschüss«, antworte ich und schließe die Balkontür wieder. Ich bin noch müde und lege mich wieder hin.

Aber ich kann nicht einschlafen, weil ich daran denke, dass sie anscheinend wieder aus der Psychiatrie abgehauen ist. Ich rufe in der Klinik an. Ich schildere die Situation. Die Mitarbeiterin kann mir aus Datenschutzgründen nichts sagen und empfiehlt mir, die Polizei zu rufen.

Stefanie klopft erneut an die Balkontür. Ich stehe auf und öffne.

»Hast du vielleicht etwas Zucker für mich und etwas Wasser?«, sagt sie und reicht mir eine Thermoskanne.

»Wo hast du die denn her?«, wundere ich mich, denn diese Thermoskanne hat eigentlich meine Mutter weggeworfen, weil Stefanie daraus getrunken hat.

»Jemand hat sie in den Müll geworfen«, antwortete sie. In diesem Moment wurde mir klar, dass sie in der Mülltonne herumgewühlt hatte. Vielleicht hat sie auch sensible Daten aus dem Altpapier geholt? (Deshalb ist es wichtig, die sensiblen Daten auf dem Papier zu vernichten und die Dokumente nicht unzerstört in den Altpapiercontainer zu werfen).

Es tut weh, ihr das Wasser zu verweigern. Ich nehme die Thermoskanne, »warte hier«, sage ich und schließe die Balkontür. In der Küche wasche ich die Thermoskanne aus und fülle Wasser nach. Ich gehe kurz in Mamas Zimmer und sage ihr, dass Stefanie wieder da ist.

»Nicht schon wieder...« antwortet sie im Bett liegend in einem strengen Ton, der mich ahnen lässt, dass es gleich zu einer Eskalation kommen wird.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, antworte ich verzweifelt.

»Ruf die Polizei. Ich will sie nicht hier haben«, reagiert sie wütend.

Ich schließe die Zimmertür und gehe auf den Balkon.

»Stefanie, bitte geh zurück in die Klinik. Dort bekommst du so viel Zucker und Wasser, wie du brauchst, und ein warmes Bett«, sage ich und reiche ihr das Wasser. »Du spinnst doch. Warmes Zuhause… Ich wurde dort entlassen. «, sagt sie und nimmt einen Schluck.

»Jedenfalls hier kannst du dich hier nicht aufhalten. Und warum bist du schon wieder auf dem Balkon?«

»Ich wollte nur Tschüss sagen. Könntest du etwas Wasser für den Igel holen?«

Ich bin genervt. Kurz zögere ich, dann bringe ich dem Igel aus Mitleid doch eine Schale Wasser. Der Igel trinkt nicht. Er bewegt sich auch nicht. Aber seine Augen sind offen. Sie gießt das Wasser weg und stellt das Schälchen auf die Fensterbank.

»Okay, Tschüss Stefanie. Ich kann dich in der Klinik besuchen, wenn du dorthin gehst«, sage ich und will die Balkontür schließen.

»Weißt du, Alexander? Ich komme nie wieder hierher«, sagt sie, stellt die Thermoskanne auf die Fensterbank und klettert wieder vom Balkon in den Garten.

Ich schweige und sehe zu, wie sie zu irgendeinem Fahrrad geht, das ihr bestimmt nicht gehört, und hinter der Hausecke verschwindet.

Meine Mutter kommt ins Wohnzimmer und schaut aus dem Balkonfenster.

»Ruf die Polizei, habe ich gesagt«, fordert sie mich wütend auf.

»Hör auf Frauen am Bahnhof kennenzulernen«, beginnt sie mir Vorwürfe zu machen, »du verschwindest hier. Ihr beide. Ich will euch hier nicht sehen.«

»Aber dein Alkoholiker Julien ist auch nicht besser«, schreie ich zurück. Ich habe nichts gegen Julien, aber ich wollte ihr das Argument nehmen, das sie selbst gegen Julien benutzt.

»Das stimmt«, antwortet sie und lenkt das Gespräch wieder auf Stefanie, »ruf die Polizei, die sollen sie abholen und dich am besten auch!«

Ich will meinen Rucksack nehmen und gehen. Sie hält mich am Rucksack fest und sagt: »Du gehst nirgendwo hin. Du bleibst hier und suchst dir erst mal eine Wohnung.«

Meine Hände beginnen wieder zu zittern. Ich bin überfordert. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich atme tief durch. »Bitte schrei jetzt nicht, ich rufe die Polizei«, sage ich zu ihr und greife zum Handy.

Ich schildere dem Polizisten in Sarstedt die Situation. Er schickt einen Streifenwagen. Jedes Mal, wenn ich die Polizei anrufe, habe ich das Gefühl, Stefanie zu verraten.

Mama fängt an, die ganze Wohnung und das Treppenhaus zu putzen. Ich glaube, sie baut damit Stress ab.

Ich setze mich auf den Balkon. Ich höre, wie sich jemand von hinten durch das Gras bewegt. Ich drehe mich um. Stefanie kommt von hinten. Mutter schreit durch die Wohnung. Geht auf den Balkon zur Tür. Sie bemerkt Stefanie und hört auf zu schreien.

»Hallo Oxana, danke fürs Wäschewaschen«, sagt Stefanie mit hoher Stimme aus dem Garten.

»Stefanie, du kannst nicht hier sein«, weint Oxana, »sonst kommt die Polizei. Ich will meine Ruhe haben. Verstehst du das nicht?«

»Schon gut, ich nehme nur meine Sachen und gehe«, antwortet Stefanie entspannt.

Oxana geht gleich wieder rein. Stefanie wird mürrisch, nimmt ihre Sachen unter dem Balkon und sagt: »Immer diese Russen«. Dann geht sie zum Fahrrad und verschwindet hinter der Hausecke.

Ein Polizist und eine Polizistin kommen auf den Balkon.

»Haben Sie uns gerufen?«

»Ja«, antworte ich und wende mich Stefanie zu. Sie hat sich inzwischen ein Kleid angezogen und füttert die Rehe. Als wüsste sie, dass die Polizei gleich kommt, hat sie sich wie ein unauffälliger Mensch angezogen, ein Kleid.

Ich schildere der Polizei noch einmal die Situation, anscheinend hat der Polizist am Telefon sie nicht aufgeklärt.

»Und wo ist die Frau jetzt?«, fragt der Polizist.

»Da ist sie«, sage ich und zeige in Richtung der Rehe.

Die Polizisten verabschieden sich und gehen zu ihr. Ich sitze wieder auf dem Balkon und versuche, das Problem zu lösen.

Plötzlich schreit die Mutter von hinten: »Soll ICH ihre Unterhose aufheben?«

Ich drehe mich um und sehe, wie sie mich starr anstarrt und einen Slip in der Hand hochhält.

Ich schüttle die Schultern. Wütend wirft sie die Unterhose auf das Feld nebenan.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es tut mir weh, Stefanie nicht helfen zu können und sie wegschicken zu müssen, andererseits tut es mir auch für meine Mutter leid, weil es sie belastet, wenn Stefanie unangemeldet im Haus auftaucht, vor allem unter oder auf dem Balkon. Ihre Privatsphäre ist verletzt und sie kann es auch nicht ertragen, dass Stefanie unter dem Balkon liegt. Es tut ihr auch leid. Aber wie sie sagt: Es ist nicht ihre Aufgabe, Stefanie die ganze Zeit zu helfen. Das ist die Aufgabe der Betreuer, der Klinik und der Polizei.

Ich bin wieder reingegangen. Ich habe mir die Haare gewaschen und leider ist der starke Haarausfall wieder da. Anscheinend habe ich wieder eine psychogene Alopezie, weil ich in letzter Zeit so viel Stress hatte.

Zu Hause war es unerträglich. Mama hat geputzt und immer wieder gesagt: »Du hast es verursacht, also musst du es ausbaden«, »Ich ziehe aus«, »Ich halte es nicht mehr lange aus«. Ich habe das nicht kommentiert, aber ich wollte das auch nicht die ganze Zeit hören, weil es mich sehr gestresst hat.

Ich bin in Lauras Zimmer gegangen und habe mir eine Doku über Stalking angeschaut. Dabei habe ich einiges gelernt: Am Anfang von Stalking steht immer eine Kränkung, meistens eine Zurückweisung, zum Beispiel in Form einer Trennung oder eines Korbs. Das ist ein enormer Schmerz für den Täter, den er nicht los wird. Stalking gibt dem Täter ein Gefühl von Kontrolle, ein Gefühl von Macht zurück. Die Opfer glauben oft, das Problem alleine lösen zu können. Sie ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück und merken erst nach Jahren, dass ihnen etwas angetan wird. Die Betroffenen geben sich oft selbst die Schuld an der Situation.

Meine Mutter stürmt ins Zimmer. »Sie ist wieder unter dem Balkon. Ich habe keine Lust, ständig jemanden unter dem Balkon zu haben. Hier ist keine Ruhe. Ruf die Polizei!«

Ich gehe auf den Balkon und beuge mich vor, um unter den Balkon zu schauen. Dort sitzt Stefanie und gräbt mit einer Gartenhacke etwas um. Stefanie gräbt unter dem Balkon

»Stefanie?«, spreche ich sie an und sage ihr noch einmal, dass sie hier verschwinden soll. Sie soll sich woanders aufhalten, aber nicht hier unten und vor allem soll sie die Finger von den Pflanzen lassen, die meine Mutter vor dem Balkon gepflanzt hat.

»Ich habe Durst und Hunger und habe lange nicht geschlafen«, sagt sie. Vielleicht um Mitleid zu erregen? Das sagt sie regelmäßig in Konfliktsituationen und ich kann ihr nicht wirklich helfen.

»Warum bist du dann hier? In der Klinik bekommst du zu essen und zu trinken!«

»Da kann ich nicht sein«, antwortet sie und geht.

Ich ziehe meine Schuhe an und gehe nach draußen. Sie steht vor dem Haus und holt den Igel vom Gepäckträger ihres Fahrrads.

»Schau, jetzt ist er tot. Nur weil du nicht helfen wolltest«, wirft sie mir vor.

Ich bin sprachlos. Ich stehe nur da und sehe sie an.

Sie schaut mich an. »Ruf bitte 112 an«, sagt sie und scheint zu weinen.

»Soll ich? Aber dann darfst du nicht weglaufen!«, zücke ich mein Handy. Ich rufe den Notdienst an und schildere die Situation. Jedes Mal bekomme ich den Vorwurf: Warum hast du ihr die Adresse gegeben? Ich antworte, dass es dumm von mir war und ich die Zeit nicht zurückdrehen kann. Das fragen mich alle, wenn ich gefragt werde, woher ich Stefanie kenne.

Ich frage Stefanie, was sie hat. Das muss der Rettungsdienst wissen, bevor er einen Krankenwagen schickt.

»Ich bin dehydriert«, sagt sie, »ich habe Schmerzen in den Beinen.«

»Woher kommen diese Beinschmerzen?«, frage ich sie.

»Ein Mann hat mich angefahren.«

Der Mann von der Notrufzentrale hat es mitgehört und gefragt.

»Warum hat der Mann keinen Krankenwagen gerufen?«

»Warum hat der Mann keinen Krankenwagen gerufen?«, wiederholte ich die Frage für Stefanie.

»Er ist einfach weggelaufen.«

Das verstehe ich nicht. Es klingt, als hätte sie sich die Geschichte ausgedacht.

Ich spreche weiter mit dem Rettungsdienst, der einen Krankenwagen schickt.

Stefanie will gehen. »Warte hier«, bitte ich sie.

»Ich muss den Igel begraben«, sagt sie und lässt das Fahrrad am Baum stehen.

»Warte! Der Krankenwagen kommt gleich«, versuche ich sie mit Worten aufzuhalten und bleibe am Baum stehen.

Sie geht einfach weiter in Richtung Kirche. Ich mache ein Foto von einem fremden Fahrrad und warte auf den Krankenwagen. Unbekanntes Fahrrad in Borsum

Als der Krankenwagen eintrifft, erkläre ich die Situation und suche mit den Sanitätern nach Stefanie. Wir finden sie nicht und sie fahren weg.

Ich fühle mich gestresst und beschließe, Eis zu kaufen. Auf dem Weg zum Laden sehe ich Stefanie auf dem Friedhof. Sie hat dort etwas mit der Kanne gegossen. Soll ich jetzt wieder den Krankenwagen rufen? Nein, das wäre mir jetzt zu blöd. Ich gehe weiter zum Laden und hole mir Eis und zwei Spezi. Barfuß im Supermarkt in Borsum

Als ich wieder zu Hause ankomme, ist Mama beruhigt.

»Wenn Julien kommt, sag ihm, dass ich nicht da bin«, sagt sie.

»Warum Julien? Warum will er herkommen? Du willst doch nichts von ihm?«

»Ich weiß nicht, was er vorhat.«

»Ich mache niemandem die Tür auf«, antworte ich und merke sofort, dass Julien auch Züge eines Stalkers zu haben scheint. Julien hat, soweit ich sein Verhalten aus Mamas Erzählungen kenne, auch Stalkerzüge.

Sie fährt nach Hildesheim an den See. Ich setze mich an den Laptop im Wohnzimmer und lese, schaue mir das Stalking an.

  • Vieles läuft über das Internet und Fake-Accounts.
  • Freunde werden kontaktiert, Profile gestalkt, um mehr über das Opfer zu erfahren, z.B. wo es sich aufhält.
  • 30 % der Stalker werden gewalttätig, vor allem wenn sie vom Opfer zurückgewiesen werden.
  • Ständige anrufe, von unbekannten Nummern, Sachbeschädigungen wie platte Reifen, GPS-Tracker am Auto. Umziehen hilft meist nicht, der Aufenthalt des Opfers wird schnell gefunden.
  • Vor allem Frauen werden von Männern belästigt. Ex-Freunde. Noch während der Beziehung zeigt der Täter oder die Täterin ein übertriebenes Kontrollverhalten, übertriebene Eifersucht und ein sehr ambivalentes Verhalten bereits in der Kennenlernphase.
  • Die Täter zeigen ein extremes Auf und Ab: Sehr zugewandt und dann plötzlich will der Täter die Beziehung beenden.
  • Es ist ein Irrtum zu glauben, dass der Stalker einem nichts tun wird. Davon bin ich übrigens auch bei Stefanie überzeugt. Aber ich kenne ihre wahre Geschichte nicht.
  • Stalking ist in Deutschland seit 2007 strafbar. Besonders schwere Fälle werden mit bis zu 5 Jahren Haft bestraft. Das Opfer muss beweisen, dass durch das Stalking das normale Alltagsleben gestört wird. Und das ist in vielen Fällen sehr schwer zu beweisen.

Ein Täter, der sein Opfer tötete, hatte zuvor gegoogelt: »Warum ekelt man sich plötzlich vor jemandem, in den man vorher noch verliebt war«.

Irgendwie habe ich nach meinen Recherchen über Stalking das Gefühl, dass meine Mutter auch eine Art Stalking betreibt. So wie sie manchmal zu Julien fährt, um ihn mit einer anderen Frau zu erwischen, oder wie sie ihn online ausspioniert, wann er online ist, mit wem er auf Facebook befreundet ist, ihm unterstellt, dass er etwas mit anderen Frauen hat und so weiter. Nach den Konflikten kommt schnell die Entschuldigung.

Ich habe mir auch Tipps angeschaut, was man bei Stalking tun kann: Klare Grenzen setzen. Mein Umfeld informieren oder öffentlich darüber sprechen, dass man gestalkt wird. Das schreckt den Täter meistens ab. Telefonnummer wechseln, sensible Daten (z.B. Kontoauszüge, Kundennummern etc.) vernichten und ordnungsgemäß entsorgen, Stalking in Tagebuchform dokumentieren und Beweise sammeln, denn nur mit Beweisen hat man eine Chance, vor Gericht etwas gegen das Stalking zu erreichen. Nach einem Vorfall immer zur Polizei gehen und die Beweise vorlegen. Es gibt auch Opfertelefone, z.B. vom Weißen Ring, die Stalkingopfern zur Seite stehen.

Einen speziellen Tipp aus einem Stalking-Artikel habe ich direkt umgesetzt: Rufnummerunterdrückung. Eigentlich sollte man die Rufnummer ändern, aber da ich das vorerst nicht machen will, schalte ich zumindest die Rufnummernunterdrückung ein. Das finde ich nicht nur wegen Stalking sinnvoll, denn mit einer unterdrückten Nummer verhindere ich, dass mich fremde Leute zurückrufen, was mir in letzter Zeit passiert ist, weil Stefanie jedem meine Nummer gegeben hat oder von fremden Handys angerufen hat. Mit der Rufnummernunterdrückung erscheint meine Nummer nicht mehr auf dem Display. So kann ich etwas anonymer telefonieren. Also bin ich in die Einstellungen meines iPhones gegangen und habe die Funktion »Show My Caller ID« ausgeschaltet.

Um 18 Uhr ist die Mutter wieder da und sie wirkt entspannt. Sie geht auf den Balkon und zurück ins Wohnzimmer. Ihr entspanntes Gesicht verwandelt sich in ein wütendes. »Sie ist wieder unter dem Balkon!«, sagt sie laut, »Tu etwas!« »Was soll ich tun?«

»Geh zu ihr und mach, dass sie verschwindet!«, schreit sie. Ich gehe auf den Balkon. Stefanie legt über den Balkon die Kleidung, die vorher auf der Wäscheleine hing, auf den Sessel. »Oh scheiße«, denke ich. Wenn die Mutter die abgehängten Sachen sieht, wird sie ausrasten. Und das stimmt. Es fängt ein heftiger Streit mit der Mutter an. Wir werden beide laut.

Wütend gehe ich zu Stefanie und will ihr noch einmal sagen, dass sie hier weg muss. Aber als sie vor mir steht, abgemagert, mit Wunden an Händen und Füßen, und mich mit traurigen Augen ansieht, bringe ich es nicht übers Herz, sie anzuschreien und ihr zu sagen, dass sie verschwinden soll.

Stefanies Stimme klingt anders. Sie klingt traurig. Sie bittet mich, mit ihrer Mutter zu telefonieren. Ich gebe ihr die Möglichkeit. Sie setzt sich vor das Haus. Ihre Hände zittern stark. Es tut weh, sie anzusehen. Mir kommen fast die Tränen, als sie mit ihrer Mutter über ihr Pferd spricht. Am Telefon wirkt sie so glücklich, aber in Wirklichkeit ist sie psychisch und körperlich am Ende. Sie hat Wunden an Händen und Füßen. Es tut mir in der Seele weh zu sehen, wie sie leidet und ich muss sie eiskalt abweisen, weil sie es nicht anders versteht.

Ich nehme den Hörer von Stefanie ab und telefoniere mit Stefanies Mutter. Stefanie geht. Ihre Mutter sagt, sie sei nicht aus der Klinik entlassen worden. Sie sagt, ich solle die Polizei in Großburgwedel anrufen.

Das mache ich. Ich rufe die Polizei an. Während ich mit der Polizei spreche, schreit meine Mutter im Hintergrund. Ich muss den Polizisten immer wieder fragen, was er gesagt hat, weil ich ihn durch das Schreien akustisch nicht immer verstehe.

Die Mutter wird sehr wütend, nachdem ich das Telefonat beendet habe. Denn sie sieht, dass die Sachen, die sie aufgehängt hat, Flecken von der Erde haben. Sie schreit und macht mir Vorwürfe. Ich kann nichts machen. Ich rufe die Polizei. Er hat es notiert und sagt mir, dass ich die örtliche Polizei rufen soll, wenn sie wieder auftaucht.

»Wenn sie das noch einmal macht, bringe ich sie um.«

»Dann kommst du ins Gefängnis«, sage ich vor mich hin.

»Das ist mir scheißegal«, schreit sie. »Die Schlampe macht mein Leben kaputt und du bist genauso, zwei verdammte Obdachlose. Schaff sie raus!«

Ich schreie zurück: »Ich kann nichts mehr machen. Ich habe jeden angerufen, den ich erreichen konnte. Und ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich habe einen Fehler gemacht, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.«

Ich bin überfordert und verkrieche mich in Lauras Zimmer.

Ich gehe auf den Friedhof, weil ich es zu Hause nicht mehr aushalte mit all den Vorwürfen. Die Mutter fährt gleichzeitig irgendwohin weg. Es ist mir egal, wohin sie geht. Meine Hände zittern, mein Magen tut weh. Ich setze mich auf die Bank neben dem Brunnen vor der Kirche und lausche der Orgelmusik, die aus der Kirche dringt. Alexander Fufaev an der Borsumer Kirche

Stefanie ruft mich an. Sie ist im Gasthaus Wilke, isst Ofenkartoffeln und trinkt eine Cola. Ich frage sie, wie sie das bezahlen will. Das geht nur bar und sie hat kein Bargeld. Ich konfrontiere sie damit, dass ihre Mutter gesagt hat, sie sei nicht aus der Klinik entlassen worden. Mit Lügen will ich nichts zu tun haben.

»Du hast mir auch gesagt, dass du mich besuchen kommst, sonst machst du Schluss.«

»Moment mal. Erstens sind wir nicht zusammen.«

»Das ist mir schon klar.«, unterbricht sie mich.

»Und zweitens: Ich wollte dich heute besuchen, aber dann bist du nach Borsum gefahren.«

»Ich besuche dich, wenn du dort bleibst.«

Im Hintergrund höre ich, wie die Besitzerin des Telefons das Telefon zurückhaben will.

»Ich muss jetzt auflegen«, sagt sie.

»Ja okay, tschüss.«

Ich sitze da und bin fassungslos, was heute alles passiert ist. Ich bin erschöpft. Eine alte Frau kommt zum Brunnen.

»Hier sieht es aber ganz schön nass aus«, sagt sie.

»Ja, aber es hat nicht geregnet und ich habe hier auch nicht gepinkelt«, scherze ich und denke, dass es sicher Stefanie war, die hier die Pflastersteine begossen hat.

Meine Mutter ist wieder da. Sie war an der Tankstelle und hat eine kleine Flasche Wein gekauft. Sie setzte sich an den Tisch und schrieb eine Anzeige. Ich habe ihr dabei geholfen. Wir hoffen, dass wir damit einen neuen Betreuer für Stefanie beantragen können und dass Stefanie einen Platz im betreuten Wohnen bekommt. Und meine Mutter will nicht, dass Stefanie hier am Haus oder auf dem Balkon auftaucht und komische Dinge tut. Ich möchte das auch nicht, weil ich sehe, dass das meine Mutter sehr belastet. Ich dagegen komme mit ihrer psychischen Erkrankung schon viel besser klar.

Während wir die Anzeige schreiben, hat Mutter Mitleid mit Stefanie. Sie sagt, mein Schlafsack ist nicht verschwunden, sondern sie hat meinen Schlafsack im Keller versteckt. Ich kann ihn holen und draußen aufhängen, wenn Stefanie kommt. Dann kann sie wenigstens im Schlafsack draußen schlafen, ohne schlaflos durch die Gegend zu laufen.

Ich habe den Schlafsack geholt und vor den Balkon gehängt. Dann ist Mama schlafen gegangen und ich habe das EM-Achtelfinale Deutschland gegen Dänemark geschaut. In der Halbzeitpause bin ich auf den Balkon gegangen und habe gesehen, dass der Schlafsack weg war. Stefanie muss da gewesen sein. Ich schaute im Dunkeln nach links und rechts und auch auf die Straße, die von Laternen beleuchtet wurde. Niemand war zu sehen. Ich ging hinein und schaute weiter Fußball.

Plötzlich klopft jemand an der Balkontür. Es war Stephanie, die unten am Balkon stand.

»Hey«, sagt sie und schaut mich mit dem Schlafsack in der Hand an.

Ich gehe an den Rand des Balkons und sehe, dass sie keine Schuhe an hat, sondern ein Verband um die Füße gewickelt ist.

»Wo sind deine Schuhe?«

»Ich weiß es nicht mehr«, antwortet sie und schaut mich unschuldig an.

Mir fehlen die Worte. Sie sieht erschöpft aus. Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen kann. Sie darf nicht in die Wohnung. »Du kannst den Schlafsack benutzen. Soll ich dir noch eine Yogamatte als Unterlage geben?«

»Ich fahre nach Sehnde.«

»Was willst du denn da?«

»Da ist ein Hotel. Noch günstiger als das Boxhotel. Eine Nacht kostet 20 Euro.«

»Stephanie! Du hast doch kein Geld. Der Betreuer hat es!«

»Ich habe Geld, ich muss meinen Betreuer anrufen«

Diesen Satz habe ich schon tausendmal gehört. Der Betreuer scheint ihr gar kein Geld zu geben, zumindest habe ich das noch nie in den letzten Wochen erlebt.

»Hast du heute etwas gegessen?«

»Im Gasthaus Wilke hat mir die Wirtin eine Cola spendiert«, sie berührt den angezogenen dunklen Plüschpullover, »und diesen warmen Pullover gegeben«.

»Gut, wenn du hier bleibst«, sage ich, »kannst du wenigstens den Schlafsack benutzen. Er ist regendicht und warm.«

Ich spreche noch kurz mit ihr und verabschiede mich. Sie geht um die Ecke. Ich bleibe noch stehen und bitte Gott, Stefanie zu helfen. Dann gehe ich wieder hinein.

Kurze Zeit später klopft sie wieder und will Wasser. Ich bringe ihr ein Glas Wasser und ziehe beim Reingehen die Vorhänge zu, weil ich nicht von Stefanie beim Schlafen beobachtet werden möchte.

Ich schlafe auf dem Boden. Mitten in der Nacht wache ich auf. Das Wohnzimmer hat sich in eine Disco verwandelt. Draußen blitzt es jede Sekunde und das Wohnzimmer wird hell erleuchtet. Der Sonnenschirm draußen wackelt heftig. Draußen stürmt es sehr stark. Ich mache mir Sorgen um Stefanie. Ich glaube nicht, dass mein Schlafsack diesem Gewitter standhalten würde und sie hat nur ein Kleid an, barfuß und einen Pullover drüber. Sie wird klatschnass, wenn sie keinen Unterschlupf findet. Ich bete zu Gott, dass er sie beschützen möge und versuche, weiter zu schlafen und nicht mehr daran zu denken.