WIEDERGEBURT .
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LEBEN:
Mein erster Ecstatic Dance. Schwester will mich verklagen. Tara, die schönste Brünette der Welt. Angst vor meinem Tagebuch?
21. August 2024. Heute bin ich früher aufgestanden, weil ich die Autobahnfahrt vor mir habe.
Der Morgen begann ziemlich aufgewühlt, weil meine Schwester mir geschrieben hat. Sie droht, mich anzuzeigen, wenn ich die Passagen über sie nicht ändere. Dabei hat sie behauptet, ich hätte ihren Nachnamen oder den ihres Mannes verwendet, was aber nicht stimmt. Der Nachname ist komplett verändert. Das hat mich richtig auf die Palme gebracht. Ich bin bereit, ein paar Sachen über sie zu ändern, aber üble Nachrede oder etwas in der Art habe ich nirgendwo gemacht. Deswegen sehe ich nicht ein, dass ich alles löschen muss. Wenn sie mich anzeigen will, soll sie das tun. Oder wir treffen uns einfach nicht mehr wieder…
Auf dem Weg zum Treffpunkt hat mich mein Fahrlehrer angerufen und mitgeteilt, dass die Fahrstunde heute ausfällt. Also haben wir sie verschoben. In diesem Moment hatte ich das Buch "Wenn dich jeder mag, nimmt dich keiner ernst" in der Hand. Vielleicht hätte ich darauf bestehen sollen, dass die Fahrstunde heute stattfindet? Aber es war nicht so schlimm, dass ich etwas dagegen unternehmen musste.
Ich bin dann ein wenig durch die morgendliche, recht leere Stadt spaziert und habe mich an einen sonnigen Platz gesetzt, mit einem entkoffeinierten Cappuccino in der Hand.
Beim Kaffee schlürfen und Sonne tanken, habe ich über die Situation mit meinem Tagebuch nachgedacht und ob ich möglicherweise Persönlichkeitsrechte verletze oder generell etwas Unrechtmäßiges tue.
Ich kann nicht nachvollziehen, warum ich zum Beispiel die Interaktionen mit meiner Familie entfernen sollte, selbst wenn ich ihre Namen komplett geändert habe. Wie schreibt man dann überhaupt Biografien oder Bücher über schwierige Familienverhältnisse, wenn man nichts benennen darf? Wenn jemand beispielsweise über Misshandlungen in der Familie schreibt, sagt man doch auch nicht einfach: "Ich habe blaue Flecken, aber von wem weiß ich nicht." Man schreibt stattdessen: "Ich habe blaue Flecken, weil mein Vater mich geschlagen hat." Vor allem verdrehe ich keine Fakten. Aber wie kann man überhaupt von Fakten sprechen, wenn ich die Namen und alles verändert habe… Pfff. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich will mein Tagebuch am liebsten weiter schreiben. Ich mag es über mein Leben zu schreiben.
Auf der anderen Seite merke ich, dass mein Tagebuch, sobald es von Menschen entdeckt wird, mit denen ich zu tun habe, dazu führt, dass sich diese Menschen von mir abwenden. Obwohl ich deutlich extrovertierter geworden bin, mehr auf andere zugehe und intensiver mit ihnen interagiere, hindert mich mein Tagebuch daran, tiefere Verbindungen einzugehen. Die Menschen wollen nicht in meinem Tagebuch auftauchen, selbst wenn ihre Namen geändert sind. Ich denke, dass mein Tagebuch eine der Ursachen dafür ist, warum ich heutzutage immer noch ein Einzelgänger bin. Dauerhaften Einzelgänger sein, will ich auf jeden Fall nicht sein. Ich will tiefere Verbindungen, aber ich möchte auch weiterhin mein Tagebuch schreiben.
Ich habe um 10:00 Uhr einen Termin mit einer günstigen schnellen Rechtsberatung vereinbart. Sie werden mich anrufen und mich ein bisschen beraten.
Meine Mutter hat mich angerufen. Als ich ihren Namen auf dem Display meines Handys gesehen habe, dachte ich: "Oh Scheiße, jetzt gibt’s Stress." Doch als ich abgenommen habe, hörte ich ein freundliches "Guten Morgen." Sie war sehr fröhlich und hat sogar vorgeschlagen, bei mir zu frühstücken. Sie liest jetzt immer mein Tagebuch, damit sie weiß, wie es mir geht, sagt sie. Oh je, ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. 😄 Und jetzt weiß sie es auch, dass ich einen Führerschein mache. Darüber hat sie sich gefreut.
Während des Frühstücks mit meiner Mutter bekam ich auch einen Anruf von der Rechtsberatung im Bereich Datenschutz. Nach einem ungefähr 10-minütigen Gespräch war ich allerdings genauso schlau wie vorher. Das Einzige, was ich erfahren habe, ist, dass meine Schwester zivilrechtlich gegen mich vorgehen kann und dass ich „aufpassen“ sollte. Das wusste ich aber auch schon vorher. Jetzt habe ich umsonst die 20 € ausgegeben. Man muss wahrscheinlich deutlich mehr investieren, um eine vernünftige Rechtsberatung zu bekommen. Alles andere ist nur verschwendetes Geld.
Ich habe angefangen, die Küche aufzubauen, und meine Mutter kam dazu, um mir zu helfen. Leider hatten wir nicht das passende Werkzeug, also schrieb sie Tobi, und er brachte das nötige Werkzeug vorbei, damit wir weitermachen konnten.
Beim Abbauen des Siphons wäre mir fast schlecht geworden. Dieser undefinierbare, ekelhafte Geruch war einfach unerträglich. Ich war sehr froh, als ich das alte Waschbecken endlich abgebaut hatte.
Gegen Abend musste ich eine Pause einlegen, denn um 18:00 Uhr ging es zum Trancetanz in der Kulturfabrik bei Judith. Meine Mutter fuhr erst einmal nach Hause, um Farbe zu holen, damit wir die Wand und die Fußleiste hinter dem alten Waschbeckenschrank streichen konnten.
Als ich in der Kulturfabrik ankam, lief ich die Treppe nach oben, ging den Gang nach rechts bis zum Ende und kam in einen großen, leeren Raum. Dort lagen runde Kissen auf dem Boden, und in der Mitte stand eine Dekoration mit einer Kerze.
In einem Nebenraum, hinter einem weißen Vorhang, entdeckte ich Judith am Fenster. Auf einem schwarzen Sofa, das dort stand, saßen zwei schöne Göttinnen.
Wir begrüßten uns, und ich stellte mich den beiden Göttinnen vor, die mir ebenfalls ihre Namen nannten. Ich setzte mich auf das Sofa, und wir führten einen kurzen Smalltalk, bevor die Veranstaltung begann.
Die beiden waren, wie ich, das erste Mal hier. Von ihnen erfuhr ich, dass sie durch eine Telegram-Gruppe auf die Veranstaltung aufmerksam geworden waren. „Bewusstsein, Hildesheim“ notierte ich mir, um später Telegram herunterzuladen und dieser Gruppe beizutreten.
Kurze Zeit später kamen noch weitere Göttinnen unterschiedlichen Alters und zwei Männer hinzu.
Pünktlich um 18:00 Uhr setzten wir uns im Kreis zusammen. Ich setzte mich neben die Freundin von Tara. Jetzt sah ich das im Kreis vor uns Tarot-Karten verteilt waren. „Sieht so aus, als würden wir gleich einen Dämon beschwören“, scherzte ich, während Judith etwas Astartiges anzündete.
Es war definitiv kein Räucherstäbchen. Es roch wie brennendes Holz. Sie reichte uns diesen glimmenden Ast, und wir konnten uns vorstellen und alles aussprechen, was uns auf dem Herzen lag, bevor der Tanz begann.
„Ich bin Alexander. Ich bin auch das erste Mal hier und wurde durch den Flyer von Judith auf diese Veranstaltung aufmerksam. Ich kannte Judith eigentlich schon vorher, aber das ist eine andere Geschichte“, erzählte ich und schmunzelte. „Ich liebe es, frei zu tanzen. Es geht mir nicht darum, so zu tanzen, dass es anderen gefällt, sondern so zu tanzen, wie es sich gut anfühlt, wie mein Körper sich bewegen will“, erklärte ich weiter und bezog mich dabei auf mein altes Zitat.
Zuerst machten wir einen Bodyscan. Wir verteilten uns im Raum, und es war egal, ob man lag oder saß. Ich entschied mich, mich hinzulegen.
„Aber die Musik wird noch lauter gemacht, oder?“, fragte ich, weil ich von der sehr leise im Hintergrund laufenden Musik niemals zum Tanzen animiert werden könnte. Ich brauche mindestens eine bestimmte Lautstärke, die mich zum Tanzen anregt.
„Ja, sie wird noch lauter“, antwortete Judith, und die anderen lachten.
Judith führte unsere Aufmerksamkeit von der Kopfspitze bis zu den Zehen.
Ich hörte, wie die Musik allmählich lauter wurde. Ich öffnete kurz die Augen und sah, dass Judith die Lautstärke erhöhte. Mit geschlossenen Augen war ich nun bereit, wie in Trance zu tanzen.
Doch ich lag fast regungslos da. Einige Songs vergingen, ich konnte mich nicht zum Tanzen überwinden. Es war eine eigenartige Musik, zu der ich noch nie wirklich getanzt hatte, und mein Körper schien nicht darauf zu reagieren.
Stattdessen blitzte immer wieder das Bild von Tara vor meinem inneren Auge auf, die direkt hinter mir war. Was sie genau tat, wusste ich nicht, denn die meiste Zeit hatte ich die Augen geschlossen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich die anderen in ihrem Trancetanz beobachtete. Ich stand kurz auf, ging ins Nebenzimmer, trank etwas und kehrte an meinen Platz zurück. Als ich bei der Rückkehr Tara sah, schlug mein Herz schneller.
Ich kniete mich auf den Boden, als ein sanftes Lied begann. Meine Bewegungen wurden intensiver. Sobald das tanzbare Lied endete und ein weiteres Stück begann, zu dem ich nicht tanzen konnte, kniete ich mich erneut nieder. Ich zeichnete den Namen "Tara" immer wieder mit meinem Finger auf den Boden, die Schrift wurde dabei jedes Mal größer und größer.
Dann begann ein Liebeslied, Judiths Lieblingslied, das sie der Selbstliebe widmete. Doch ich empfand dieses Lied als Ausdruck meiner Liebe zu Tara, genau in diesem Moment. Ich merkte, wie meine Augen anfingen zu tränen.
Am Ende dieses Lieds hörte ich Judiths Stimme, die verkündete, dass die zwei Stunden bereits vorüber waren. Gerade als ich begonnen hatte, diesen tranceartigen Zustand in mir wahrzunehmen, der sich durch meinen gesamten Körper ausbreitete, war die Zeit um. Schade. Es ging so schnell vorbei.
Ich sah mich um und bemerkte, wie die Menschen um mich herum langsam zurück in die Realität kamen. Tara ging ins Nebenzimmer, und ich folgte ihr, um etwas zu trinken.
„Wie fandest du die Veranstaltung auf einer Skala von eins bis zehn?“, fragte ich sie.
Sie bewertete die Veranstaltung mit acht von zehn Punkten, was auch meiner Einschätzung entsprach. Nach einem kurzen Gespräch gingen wir zurück in den Tanzraum, wo die anderen noch miteinander redeten. Wir gingen gemeinsam auf die Toilette, zuerst war Tara dran. Als sie herauskam, lächelte sie mich an, und ich lächelte zurück, bevor ich selbst auf die Toilette ging.
Als ich in den Tanzraum zurückkam, saßen alle bereits im Kreis und warteten auf mich. Ich setzte mich auf meinen alten Platz neben Taras Freundin.
Ich war tief entspannt und es fühlte sich wunderschön an, im Kreis zu sitzen, die Hände der anderen zu halten und die Augen zu schließen, um in mich hineinzuspüren. die Liebe und die Verbundenheit mit den anderen war einfach atemberaubend. Es fühlte sich an, als wäre es meine wahre Familie.
Meine Hand war im Vergleich zu der von Taras Freundin kalt, ihre Hand fühlte sich sehr sanft an. Die Hand der Göttin auf meiner anderen Seite nahm ich kaum wahr. Mit geschlossenen Augen saß ich da und hatte Tara in ihrem wunderschönen blauen Kleid vor meinem inneren Auge. Ich versuchte, durch den Kontakt mit ihrer Freundin irgendwie Tara selbst zu spüren.
Nach diesem Innehalten zündete Judith wieder ein Räucherdings an und reichte es herum. Wir durften sprechen, wenn uns etwas auf dem Herzen lag.
„Mein Verstand hat mich die ganze Zeit aufgefressen und mir gesagt, dass ich jetzt nicht tanzen kann, dass mein Körper sich nicht bewegen will. Doch bei dem Liebeslied verschwand der Verstand, und ich kam in einen tranceartigen Zustand. Was ich dann gefühlt habe, bleibt ein Geheimnis. Das Schicksal wird alles zeigen,“ sagte ich, als ich das Räucherding in meinen Händen hielt.
Mit dem „Geheimnis“ meinte ich natürlich die Liebe, die ich für Tara gespürt habe. Ob sie in mein Leben gehört, ob wir zusammengehören, das wird das Schicksal zeigen.
Nach der Veranstaltung saßen wir noch eine Weile zusammen, redeten und knabberten mitgebrachte Snacks. Tara reichte zuerst ihrer Freundin und dann mir salzige Nüsse mit Honigglasur. Ich nahm ein paar davon. Nicht, weil ich unbedingt diese Nüsse essen wollte, sondern weil ich einen Vorwand haben wollte, um bei der Übergabe der Nüsse Tara anzuschauen.
Nach und nach verabschiedeten sich die Menschen, bis schließlich auch Tara und ihre Freundin gingen. Etwa zur gleichen Zeit wollte ich ebenfalls aufbrechen, blieb jedoch noch eine Minute länger, um mit einem Mann zu sprechen, den ich zuvor umarmt hatte, mit dem Kommentar „Auch Männer dürfen sich umarmen“. Er erzählte mir, dass am Wochenende ein Straßenfest in Hildesheim stattfinden würde. Das klang spannend, vielleicht gehe ich hin.
Als ich schließlich den Tanzraum verließ und in den Flur trat, sah ich am Ende des Gangs Tara, die mich bemerkt hatte und die Tür für mich aufhielt. Ich lief den langen Gang zu ihr.
„Oh, mir wird sogar die Tür aufgehalten. Danke,“ sagte ich lächelnd, als ich bei ihr ankam.
Wir gingen die Treppe hinunter nach draußen. Tara holte eine Packung Tabak heraus.
Oh Mist, sie raucht, dachte ich. In dem Moment gefiel mir das nicht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, mit einer Göttin zusammen zu sein, die regelmäßig raucht. Doch dann kam der Satz aus mir heraus: „Darf ich auch eine? Aber ich kann nicht drehen.“ Oh Mann… Etwas von anderen erwarten, was ich selbst nicht einhalte. Pfff.
„Klar, ich mach dir eine,“ sagte Tara, während sie einen Filter zwischen den Lippen hielt.
Als wir die Brücke erreichten, hatte sie die beiden Zigaretten für mich und ihre Freundin fertig gedreht, aber dann stellte sie fest, dass sie ihr Feuerzeug vergessen hatte.
„Moment mal, ich hab doch mein Plasma-Feuerzeug dabei,“ sagte ich und holte es aus meinem Rucksack.
„Plasma-Feuerzeug? Noch nie gehört,“ erwiderte Tara überrascht.
„Es wird einfach ein Funke zwischen zwei Elektroden erzeugt,“ erklärte ich.
Die beiden schauten mich skeptisch an.
„Ich habe Physik studiert,“ grinste ich.
Wir gingen weiter über die Brücke, doch dann stellte ich fest, dass ich eigentlich in die andere Richtung musste. Wir verabschiedeten uns mit Umarmungen, und ich machte mich auf den Weg nach Hause.
Ich hatte eine Art Verliebtheitsgefühl in mir. Ich wollte jetzt nach Hause, mich in mein Bett legen, entspannte Musik aufdrehen und dieses Erlebnis, diese Gefühle direkt aus meiner Seele herausschreiben. Obwohl es wirklich schön war, schwang im Hintergrund ein Unbehagen mit. Was, wenn ich Tara nie wieder sehe? Ich will sie so gern wiedersehen. „Amor Fati, die Liebe zum Schicksal“, flüsterte ich tröstende Worte vor mich hin.
Kurz bevor ich halb neun die Wohnung erreichte, rief mich meine Mutter an. Sie wartete bereits vor meiner Wohnung. Es war zwar lieb von ihr, dass sie mir helfen wollte, aber gerade war ich einfach nicht in der Stimmung, weiterzumachen. Ich wollte mich nur hinlegen und von der schönsten brünetten Göttin namens Tara träumen. Doch meine Mutter gab nicht nach. Sie wollte, dass wir die Küche heute fertig aufbauen. Aber sie merkte sehr wohl, dass meine Stimmung irgendwie getrübt war. Ich sagte nur, dass ich von der Veranstaltung müde geworden sei. Ich wollte ihr nicht von Tara erzählen, weil ich nicht wusste, ob ich sie jemals wiedersehen würde. Meine Mutter würde sicher direkt von Heiraten und Zusammenwohnen sprechen… Ich wollte mein Augenverdrehen vermeiden, also sagte ich einfach, dass ich müde sei.
Trotzdem haben wir es tatsächlich geschafft, die Küche fertig aufzubauen und die Wand sowie die Fußleiste zu streichen. Ich muss nur noch den neuen Siphon und die Mischarmatur anschließen.
Ich bin meiner Mutter sehr dankbar, dass sie mir geholfen hat. Ohne sie wäre die Renovierung viel anstrengender und teurer gewesen. Trotz unserer regelmäßigen Streitereien habe ich die beste Mutter der Welt.