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WIEDERGEBURT .
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LEBEN:

Physikstudium geht wieder bergauf. Begegnung mit Harald Lesch. Kein BAföG mehr.

Wintersemester 2015. Aufgetankt mit frischer Energie und durch die Zusammenarbeit und den Austausch mit den Kommilitonen absolvierte ich erfolgreich das erste Semester und bestand auf Anhieb alle Klausuren.

Das Highlight des Semesters war ein Abendvortrag von Harald Lesch an unserer Universität. Damals in der Oberstufe hatte ich, immer nach der Schule, beim Mittagessen, Alpha Centauri geguckt, wo Herr Lesch jede Menge spannender Fakten über die Entstehung des Universums und den Kosmos vorgestellt hatte. Ich war ein großer Fan von ihm, weshalb ich mich umso mehr freute, ihn zum ersten Mal live erleben zu dürfen. Sein Vortrag gab mir einen Motivationsschub für das nächste Semester. Harald Lesch an der Leibniz Universität Hannover Ich habe eine Frau nach dem Vortrag gefragt, ob sie ein Foto von Harald Lesch und mir machen kann. Februar, 2015.

Auch im Sommersemester bestand ich alle erforderlichen Module. Es war natürlich sehr stressig, jede Woche mehrere anspruchsvolle Übungszettel abgeben zu müssen. Aber ich traf mich auch im zweiten Semester fleißig mit den anderen, um zusammen die Aufgaben zu meistern. In der Uni im Team zu arbeiten, war für mich der Schlüssel zum Erfolg.

Zukünftiges Learning aus dem Neubeginn des Studiums: Wenn ich das Physikstudium oder ein ähnlich anspruchsvolles Fach von Neuem beginnen würde, dann würde ich mich stets mit anderen Studierenden zusammenschließen, um das Grundstudium zu überleben. Alexander Fufaev am Friedhof Hannover 2016 Spaziergang mit Jule am Friedhof, während in Hannover Scilla blüht. April, 2016.

In den Sommersemesterferien kam ein Brief vom Studentenwerk, in dem stand, dass ich kein BAföG mehr bekommen würde, weil ich nicht alle notwendigen Studienleistungen innerhalb der ersten vier Semester erbracht hatte. Diese Nachricht bestürzte mich sehr, denn ich war auf das BAföG angewiesen, um die Studienleistung, Bücher und andere Ausgaben für die Uni zu bezahlen. Daher schrieb ich einen Brief an die Sachbearbeiterin, um ihr zu erklären, dass ich in den ersten beiden Semestern in einer schweren Lebensphase gewesen war und deshalb keine Module bestehen konnte. Ich bat sie, das BAföG nicht zu streichen, weil ich nicht deswegen mit dem Physikstudium aufhören wollte. Doch, wie mir die Sachbearbeiterin mitteilte, war mein Brief ohne eine offizielle Bescheinigung vom Arzt nutzlos. Ab dem nächsten Monat bekam ich kein BAföG mehr.

Um die anbahnende Studiengebühr von vierhundert Euro für das kommende Semester bezahlen zu können, rief ich die Besucher meiner Website dazu auf, mir zu helfen. Mittlerweile hatte ich meine Website im Lauf der Zeit in eine reine Physikwebsite umgebaut und viele neue Physikinhalte hinzugefügt. Damit erreichte ich im Durschnitt achtzigtausend Besucher im Monat, die allein von Google kamen, während mein YouTube-Kanal über zehntausend Abonnenten hatte.

In einem Tagebucheintrag reflektierte ich meine Situation: Was wäre gewesen, wenn ich die Unterstützung durch die bisherigen Spenden nicht gehabt hätte? Was, wenn ich während des Studiums nicht bei meiner Mutter hätte leben dürfen? Dann müsste ich zwingendermaßen neben dem Studium an der Supermarktkasse arbeiten oder Websites für andere Leute erstellen. Bei manchen Studienfächern hätte man sicherlich nebenbei Zeit dafür. Wie hätte ich aber ein solch anspruchsvolles Studienfach wie Physik bewältigen können, wenn ich den halben Tag damit verbringen würde, Geld zum Studieren und Überleben zu verdienen? Ich war jedenfalls nicht in der Lage dazu.

Eins war sicher: Um BAföG bekommen zu können, mussten die Eltern wenig verdienen. Das tat meine Mutter bereits. Aber ich musste auch emotional stabil sein und alles von Anfang an richtig machen, um die Leistungen fristgerecht abzuschließen. In diesem Punkt hatte ich wohl versagt. Wäre ich nicht in der Lage, das Geld für die Studiengebühr rechtzeitig zusammen zu bekommen, würde ich mitten im Studium exmatrikuliert werden.

Die Sorge, die nächste Studiengebühr nicht zahlen zu können und dadurch exmatrikuliert zu werden, brachte mich dazu, mehr Zeit in meine Website zu investieren, um damit hoffentlich die Spendeneinnahmen zu erhöhen. Ich wollte auf keinen Fall an der Supermarktkasse arbeiten oder dort Regale einräumen, auch wenn es in dem Moment finanziell sehr hilfreich gewesen wäre. Ich wollte eine Arbeit ausführen, die ich nicht nur tat, um Geld zu verdienen, sondern, die mir auch sinnstiftend erschien. Und meine Arbeit an der Website fühlte sich sehr sinnstiftend an, denn damit half ich mittlerweile tausenden Schülern. Auch viele Physiklehrer schrieben mir Emails und fragten mich, ob sie beispielsweise meine selbstgezeichneten Illustrationen im Unterricht einsetzen durften. Doch leider reichte ihre Dankbarkeit nicht aus, um damit ein finanziell sorgenfreies Leben führen zu können.

Dann führte ich in einem Tagebucheintrag die Situation mit einem Gedankenexperiment fort: Man stelle sich dazu eine Welt vor, in der von einem Tag auf den anderen alle Fußballer verschwinden würden. In dieser Welt müssten sich die Menschen nun mit anderen Dingen unterhalten, mit Basketball, Büchern oder dem Fernseher. Man stelle sich nun eine weitere Welt vor, in der alle Müllmänner von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit boykottieren würden. Alle Straßen wären dann mit Müll überflutet, weil diesen niemand mehr entsorgt. Die ganzen Großstädte würden im Chaos untergehen.

Die Arbeit eines Müllmanns ist für die Existenz unserer Zivilisation essentieller als die Arbeit eines Fußball-Profis. Ein Profi-Fußballer bekommt jedoch Millionen, während ein Müllmann um viele Größenordnungen weniger verdient, obwohl er eine für die Gesellschaft relevantere Arbeit leistet als ein Fußballer. Selbst, wenn der Müllmann vierundzwanzig Stunden am Tag ohne Pausen arbeiten würde, käme er nicht mal ansatzweise an das Gehalt eines guten Fußballers heran.

Es hatte also wenig Sinn, in den Semesterferien vierundzwanzig Stunden am Tag an der Website immer die gleiche Tätigkeit auszuführen, also kostenlose und werbefreie Inhalte zu erstellen. Auch, wenn ich laut den Emails und Kommentaren eine wichtige Arbeit tat, war sie, so wie im Fall eines Müllmanns nicht direkt mit einem Sprung in ein finanziell sorgenfreies Leben verbunden.

Diese Einsicht brachte mich dazu, in Zeiten, wo es darum ging, die Studiengebühr zu begleichen, gegen mein Prinzip »Kostenloses, werbefreies Wissen für alle« zu verstoßen und Werbung auf meiner Website zu schalten, um so Einnahmen zu generieren, mit denen ich die Studiengebühr bezahlen konnte.

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