WIEDERGEBURT .
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LEBEN:
Zum ersten Mal barfuß im Zug
20. Mai 2024. Ich bin um 7.40 Uhr aufgestanden, weil ich den Wecker gestellt habe, denn heute frühstücke ich mit meiner Familie. Draußen ist es bewölkt, 14 Grad. Ich habe heute ein paar neue Mikrowagnis gemacht: Ich fahre barfuß nach Borsum.
Denn als ich gestern nach Hause kam und meine nassen Socken ausgezogen habe, waren meine Füße völlig durchnässt. Die Haut an den Blasen an der Sohle ist abgebröckelt und die Füße waren nach dem stundenlangen Tanzen ganz schön geschwollen. Dagegen muss ich etwas tun. Das lange Laufen (vor allem in der Sonne) mit oder ohne Socken, aber auch das Nasswerden der Füße macht meine Füße ungesund. Die Füße riechen und es bilden sich Blasen.
Ich machte mich daher auf den Weg zu meiner Familie barfuß. Die Barfußschuhe hatte ich trotzdem in der Hand. Auf dem relativ leeren Bahnsteig des Hauptbahnhofes begrüßte mich ein älterer Mann mit einem Reisekoffer mit einem »Guten Morgen«. Ich grüßte den Mann zurück. Das erste Positive, was mir heute passiert ist. Als dann die Straßenbahn kam, stieg ich ein und stellte mich an die gegenüberliegende Tür. Alle Plätze waren besetzt. Da stand eine Frau, Mitte vierzig, von ihrem Sitz auf und stellte sich neben mich an die rechte Tür. Ich schaute sie an. Ihr Kopf lehnte an der Metallstange, an der Tür, in meine Richtung. Sie lächelte mich an. Ich schaute wieder. Sie lächelte wieder. Entweder wollte sie, dass ich mit ihr rede, oder sie fand mich einfach cool. Immerhin sah ich nicht wie ein Penner aus. Ich hatte meine Haare ordentlich zur Seite gekämmt und trug mein minimalistisches All-Black-Outfit.
Nach dem Aussteigen nahm ich die Treppe und merkte sofort, dass es auf der Treppe noch leichter ist als mit Schuhen.
Der Zug nach Harsum war schon da. Ich stieg ein. Es war ziemlich leer. Hinter mir stieg ein Mann ein. Er setzte sich auf den Vierersitz neben meinem. Obwohl er auch viele andere leere Vierersitze hätte nehmen können. Anscheinend fand er mich auch nett.
Ich sitze im Zug und denke: Entweder bekomme ich nur positive Reaktionen (was ich gut finde), oder die Leute, die mich barfuß gesehen haben, reagieren wirklich positiv. Wenn ich jemanden barfuß sehe, der eindeutig nicht wie ein Penner aussieht (wie neulich eine Frau mit zwei Hunden vor dem Bahnhof), dann fühle ich mich sofort positiv angezogen.
Als ich am Bahnhof auf Mascha und Tobi wartete, die mich abholen sollten, traf ich Judith mit ihrer Freundin. Sie waren auf dem Weg ins Café. Sie interessierte mich nicht mehr, ich wollte nur Hallo sagen. Ich war ganz auf Nina konzentriert. Mit ihr und Desiree wollte ich unbedingt eine tiefe Freundschaft aufbauen und mit Nina konnte ich mir sogar noch mehr vorstellen, vorausgesetzt, wir passen wirklich zusammen. Aber dafür möchte ich sie erst einmal näher kennenlernen.
Mascha und Tobi fanden es übrigens verrückt, dass ich den Weg barfuß zurückgelegt habe. Aber nachdem ich ihnen plausibel erklärt habe, warum ich das mache, haben sie mich verstanden.
Gegen 10 Uhr Frühstück mit Mascha, Tobi und Mama. Wir sprachen über Mamas Beziehung zu Julien, Tobis Familienprobleme und andere tiefgründige Themen. Danach habe ich mich kurz hingelegt und Nina manifestiert. Um 13 Uhr beschloss ich, Nina eine SMS zu schreiben: »Nina <3 Hi. Lass uns gegen Abend im Vahrenwalder Park treffen und ein bisschen deeptalken.«
Nach der SMS fing es draußen an zu nieseln. Ich holte Mamas Wäsche, die draußen hing, und hängte sie drinnen auf. Ich bin es gar nicht mehr gewohnt, so viel Zeit mit Wäscheaufhängen zu verbringen. Ich muss höchstens ein T-Shirt, ein Paar Socken und eine Unterhose aufhängen. Dann bin ich fertig. Bei Mama sind es unzählige Handtücher, Kleider, Unterhosen, Oberteile und so weiter.
Um 16.10 Uhr war die Straße, an der der Bus hält, gesperrt. Scheiße. Ich renne barfuß in Richtung der Umleitung. Ich sehe keine Haltestelle und renne weiter. An der Straßensperre sitzt eine Gruppe Männer und trinkt Bier.
»Wisst ihr, ob hier irgendwo eine Ersatzbushaltestelle ist?«
»Alexander?«
»Ja. Chris?«
Ich habe meinen alten Klassenkameraden aus der Hauptschule getroffen. Wir haben uns nur kurz unterhalten, weil ich weiterlaufen musste.
Ich laufe die Straße immer geradeaus. Eine Bushaltestelle sehe ich nicht. Plötzlich höre ich ein lautes Motorgeräusch. Ich drehe mich um. Es ist der Bus. Durch Winken hat mich der Busfahrer gesehen und nimmt mich mit. Perfekt. Alles geklappt.
In Harsum stieg ich aus. Inzwischen schien wieder die Sonne und es war sehr warm. Ich stand barfuß am Gleis und versuchte, Nina anzurufen. »Komm schon Nina, öffne dein Herz«, dachte ich. Sie ging nicht ans Handy. Ich wartete auf den Zug, schaute in die Sonne und dachte: »Komm, Nina. Gib mir eine Chance, dich kennen zu lernen. Ich spüre, dass wir gut zusammenpassen. Ich möchte dich in meinem Leben haben.«
Gegen 18 Uhr bin ich zurück in Hannover. Ich spüre deutlich, wie mich die Leute anschauen, sowohl im Zug als auch beim Rundgang um Kröpcke, beim Gang durch den Bahnhof zur Straßenbahn und in der Straßenbahn.
In der vollen Straßenbahn kam eine neue Angst in mir auf, die ich vorher nicht kannte. Ich hatte ein bisschen Angst, dass mir jemand auf die Zehen tritt. Aber das passiert mir nie mit Schuhen, warum sollte es dann ohne Schuhe passieren? Na gut. Es sei denn, jemand tritt mir absichtlich auf den Zeh.
Ich bin kurz zum Vahrenwalder Park gegangen und kurz inne gehalten. Kurz nachgesehen, ob Nina mir eine SMS geschrieben hat. Nein. Ich spüre eine ganz leichte Wut auf sie, dass sie mich einfach ignoriert. Ich habe ihr meine letzte Nachricht geschrieben und dabei ihr Sternzeichen berücksichtigt: »Nina, du bist ein gemeiner Skorpion (oder ein nie erreichbarer)«.
Zu Hause habe ich mir die Füße gewaschen, nachdem Thomas aus der Dusche kam. Ich habe vorher an meinen Füßen gerochen. Sie rochen nach Gras. Endlich kein ekliger Geruch, wie wenn man bei warmem Wetter Schuhe mit Socken trägt. Die Haut von der Blase am hinteren Teil der Sohle hat sich etwas abgerieben und der Fuß sieht dort nicht mehr so massakriert aus. Es war einfach eine schöne Erfahrung für die Füße, den ganzen Tag frei zu sein - ohne Schuhe.
Nina hat mir nicht geantwortet. Scheiß drauf, wenn sie sich nicht meldet, dachte ich. Ich wollte allein ins Kino gehen. Aber dann habe ich an Lena gedacht, die Energiegöttin, die ich neulich kennengelernt habe. Sie ist sehr spirituell und ich dachte, der Film würde ihr gefallen. Ich rief sie an. Und sie ist tatsächlich rangegangen. Das hätte ich nicht gedacht, denn heutzutage schreibt man eher über WhatsApp, vor allem mit Leuten, die man noch nicht kennt. Ich schlug Lena vor, dass wir zusammen »Tarot: Die tödliche Prophezeiung« anschauen. Sie meinte aber, dass sie sich heute schon mit Freunden verabredet hätte und wenn nicht, dann würde sie mitkommen. Ich habe dann gesagt, dass der Film fast jeden Tag läuft. Sie würde gern mitkommen und sie ruft mich an, sobald sie Zeit hat.
Ich bin heute dankbar für:
- Meine Überwindung, heute nicht eine Sekunde lang Schuhe anzuziehen.
- Das »Guten Morgen« eines älteren Herrn auf dem Bahnsteig und sein Lächeln.
- Das Frühstück mit meiner Familie.
- Die Begegnung mit Chris.
- Den Busfahrer, der mich gesehen hat und mich an der Nicht-Haltestelle mitgenommen hat.
- Die offene und liebevolle Art von Lena. Namaste, Lena!