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Zora Hildesheim hat Steckbriefe von mir in der Stadt verteilt. KUFA Brunch. Hilde Tanzt in der KUFA

17. August 2024. Ich bin um 8:30 Uhr aufgewacht. Graues, regnerisches Wetter. Ich habe mich mit Mala für morgen zum Frühstück verabredet, bevor sie um 14:00 Uhr tätowieren lässt. Heute gehe ich in die KUFA zum Brunch. Diesmal gehe ich allerdings barfuß hin.

Da ich noch Zeit hatte, bin ich ein bisschen in der Stadt spazieren gegangen. Als ich dann pinkeln musste, bin ich beim Espresso House vorbeigegangen und habe dort Mascha und Tobi beim Kaffeetrinken getroffen.

Im Buchladen am Bahnhof habe ich mir ein paar Sachbücher angeschaut. Ich habe wieder richtig Lust zu lesen. Vielleicht leiht mir Mala morgen ein Sachbuch aus? Kulturfabrik Hildesheim

In der Warteschlange beim Eintritt zum Brunch-Raum habe ich mir die Flyer angesehen und etwas Interessantes entdeckt: „Embodied Rhythms“. Dort wird scheinbar intuitiv getanzt—genau mein Ding. Flyer für Embodied Rhythms

Ich habe mich draußen hingesetzt und den Brunch genossen. Die meisten Besucher waren zu zweit oder in Gruppen unterwegs. Ich war der Einzige, der allein da war. Ab und zu wurde ich angesprochen, ob bei mir alles okay ist (was soll bei mir nicht okay sein? Nur weil ich allein bin?), wie mir das Essen schmeckt, oder ich bekam ein Daumen hoch dafür, dass ich barfuß bin. Aber ansonsten habe ich dort niemanden interessantes getroffen, den ich hätte kennenlernen können. KUFA Veggie Brunch

Nach dem Brunch bin ich noch einmal in die Stadt gegangen, um im Thalia-Buchladen ein Buch zum Lesen zu kaufen.

Unterwegs habe ich einen Dönerladen gesehen, der „Mr. Lecker“ heißt. Ich musste grinsen, weil der Name auch zweideutig verstanden werden könnte. Thalia Hildesheim

Nach langer Suche habe ich mich schließlich für ein Buch über Psychologie entschieden. Dazu habe ich noch Räucherstäbchen gekauft und werde das gleich mal ausprobieren—lesen und dabei den Räucherstäbchenrauch einatmen.

Auf dem Weg zurück nach Hause habe ich eine Frau gesehen, die ebenfalls barfuß unterwegs war.

An der Ampel kamen drei Jungs an mir vorbei, und einer von ihnen sagte: „Es gibt doch Schuhe.“

„Es gibt auch Handschuhe.“, erwiderte ich ganz emotionslos.

Außerdem habe ich mir noch zwei Bügelflaschen bei Rossmann gekauft. Damit werde ich dann Zero-Waste-Getränke mixen, anstatt Limonadenflaschen zu kaufen.

Zu Hause angekommen, habe ich die Bügelflaschen mit Zitronensaft und Wasser aufgefüllt und in den Kühlschrank gestellt. Dann habe ich im Schlafzimmer ein Räucherstäbchen angezündet, mich auf das Bett gelegt und das Psychologie-Buch vom DK Verlag in die Hand genommen. Während draußen ein Regenschauer begann, fing ich an zu lesen.

Ich habe die Veranstalterin von „Embodied Rhythms“ angeschrieben, um mich für die Veranstaltung am 21. August anzumelden. Nachdem ich die Nachricht abgeschickt hatte, klickte ich auf ihr Foto…

Oh mein Gott, das ist Judith—die Frau, die ich vor einigen Tagen gesehen habe. Sie war die Göttin, die damals barfuß unterwegs war und der ich am 27. April 2024 zum ersten Mal begegnet bin. Ich habe ihr geschrieben, dass ich nur an der Veranstaltung interessiert bin und nicht an ihr persönlich. Falls es sie stören würde, wenn ich mittanze, dann akzeptiere ich das.

Während ich eine Pizza esse, bekomme ich eine seltsame Nachricht von Mala: „Hey, hast du das gesehen…“. Anbei ist ein Foto von einem Steckbrief, der an einer Haltestelle an der Schuhstraße hängt. Zora Hildesheim

Verdammt, denke ich. Jetzt kennt Mala mein Tagebuch. Eigentlich wollte ich ihr später davon erzählen, weil mein Tagebuch die Menschen eher abschreckt. Aber jetzt weiß sie es…

Ich habe ihr geantwortet, dass das tatsächlich ich bin, und mich bereits von ihr verabschiedet. Ich denke nicht, dass sie weiterhin mit mir in Kontakt bleiben möchte. Das Frühstück bei ihr morgen kann ich mir wohl abschminken.

Aber dass ich als übergriffig von ZORA bezeichnet werde und sie mir unterstellen, nur nach Sex zu suchen, stimmt ja nicht. Entweder hinterlässt mein Tagebuch einen falschen Eindruck von mir, oder da ist jemand wirklich böse oder sauer auf mich.

Am Abend war ich bei der „Hilde Tanzt“-Veranstaltung in der KUFA. Die Türsteher waren recht nett, aber einer von ihnen schaute skeptisch auf meine Barfußschuhe.

„Sind das Socken?“, fragte mich ein breit gebauter Security-Mann mit Brille.

„Nein, das sind Barfußschuhe“, antwortete ich.

Er ließ mich doch noch rein. Es gab zwei Tanzräume, einen oben und einen unten. Unten, in der Buffo oder wie man den Raum nennt, musste man scheinbar einen übertriebenen epileptischen Anfall haben, um dort tanzen zu können, und oben lief laute Rockmusik, die ich nicht kannte. Ich bestellte mir eine Cola und setzte mich im Schneidersitz auf den Boden, in der Hoffnung, dass bessere Musik laufen würde.

Als sich nichts änderte, ging ich nach unten und versuchte damit Epilepsie in mir auszulösen, aber es klappte nicht. Ich konnte mich dazu überhaupt nicht bewegen—außer an einer Stelle, wo die Musik sanfter wurde. Also ging ich wieder nach oben, doch dort lief immer noch die gleiche nicht-tanzbare Musik. Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Boden an der Tanzfläche am Fenster und begann einfach zu meditieren.

Irgendwann kam ein blonder Türsteher auf mich zu und meinte: „Komm mal mit.“

„Okay“, antwortete ich.

Ich trank noch schnell den letzten Schluck meiner Cola aus, stellte die Flasche auf den Tresen und machte mich mit dem Türsteher auf den Weg nach draußen. Mir war klar, dass ich rausgeschmissen werde, aber ich fragte mich, warum. Ich dachte, vielleicht, weil ich nur dasitze und an meinem Getränk schlürfe, statt zu tanzen. Ich habe den Türsteher auch gar nicht gefragt, warum sie mich jetzt rausschmeißen, denn ich weiß, dass man mit Türstehern lieber nicht diskutieren sollte. Ich habe es einfach hingenommen.

„Tschüss“ war das Einzige, was ich dem Türsteher freundlich sagte, als wir nach draußen gegangen sind.

Was für eine Scheiß-Musik, dachte ich mir und spürte wie mich der Rauswurf doch berührt hat. „Sechs Euro Eintritt verschwendet“, flüsterte ich vor mich hin ich und spürte die aufsteigende Wut in mir. Klar, wer auf so etwas steht, für den ist das vielleicht okay, aber für mich war es überhaupt nichts.

Bald gibt es eine 90er-Party in der KUFA, das wird auf jeden Fall besser. Ich hoffe, die Türsteher vergessen mich bis dahin, damit ich reinkomme. Schließlich habe ich nichts verbrochen. Jetzt im Nachhinein wüsste ich schon gern, warum ich rausgeschmissen wurde…

Unterwegs ging ich an zwei Männern und zwei Frauen auf dem Bordstein sitzend vorbei. Eine der Frauen spendierte mir eine Zigarette, und wir quatschten ein bisschen. Sie dachten die ganze Zeit, dass ich aus Syrien oder dem Irak komme, wegen meines Bartes und meines Aussehens. Die 50 jährige Frau wollte mich klarmachen. „Du könntest mein Sohn sein, aber wie sagt man so schön? Auf alten Schiffen lernt man segeln“, meinte sie. Die vier hatten schon eine ganze Kiste Bier intus.

Ich ging weiter und schaute mich ein wenig um, ob am Samstagabend noch etwas in der Stadt los war. Erst sah ich nichts, doch dann hörte ich in der Ferne Musik. Ich folgte den tanzbaren Klängen, begleitet von bunten Lichtern. Zwei Türsteher standen draußen und rauchten. Ich blieb bei ihnen stehen und schaute auf die Wand: „Rabbit Diskothek“.

„Oh cool, da geht ja doch noch was in Hildesheim“, sprach ich einen der Türsteher an und zeigte auf den Diskoeingang.

„Seid ihr auch am Freitag geöffnet?“

„Wir haben mal versucht, am Freitag zu öffnen, aber es war fast nichts los. Aber samstags sind wir immer offen. Möchtest du rein?“

Ich griff in meine Taschen und fand nur 1,50 Euro. „Was kostet denn bei euch der Eintritt?“

„Fünf Euro.“

„Ich hab nur 1,50 und bin auch schon recht müde. Aber vielleicht komme ich nächsten Samstag gern vorbei.“

Wir klatschten uns ab, und ich ging weiter.

Ein dunkelblonder Typ starrte mich an. Neben ihm stand ein Kumpel, der auf sein Handy schaute. Ich starrte zurück und lächelte. Als ich näher an ihm vorbeiging, bemerkte ich Blut auf seiner Faust. Er sprach mich recht nüchtern an: „Hast du meinen Kumpel gesehen? Er ist so groß wie ich und blond.“

„Also, ich hab einen blonden Typen gesehen. Er war aber in einer Gruppe mit zwei anderen Männern und einer Frau. Die sind da drüben.“

„Nee, nee, er muss allein gewesen sein.“

„Naja, wer weiß, vielleicht hat er eine neue Gruppe gefunden,“ sage ich und er zündet sich eine Zigarette an. „Hast du auch eine für mich?“, frage ich.

Er gibt mir drei Marlboro-Zigaretten. „Ich will nicht anfangen zu rauchen, eine reicht.“

„Komm schon, nimm sie,“ besteht er darauf.

Ich stecke die beiden anderen in meine Hosentasche und stecke die eine Zigarette in den Mund. Sein Kumpel reicht mir ein Feuerzeug.

„Die Zigarette ist verkehrt herum,“ bemerkt er plötzlich.

„Was?“, ich nehme die Zigarette wieder aus dem Mund und sehe, dass ich fast den Filter angezündet habe. Ich musste lachen.

Auch die Jungs haben mir gesagt, dass hier nichts los ist, und sie konnten mir auch nichts zum Tanzen empfehlen, außer der KuFa. Da habe ich gesagt, dass ich schon heute dort war und es ziemlich schlecht fand. Gemeinsam sind wir dann zum Bahnhof gelaufen und haben ein bisschen gequatscht. Dort haben sich unsere Wege getrennt, und ich bin weiter nach Hause gegangen.

Ein Pärchen kam mir entgegen und begrüßte mich lächelnd mit „Nabend.“ Ich grüßte die beiden zurück.

Als ich die letzten Schritte nach Hause ging, dachte ich darüber nach, dass sich die Begegnung mit der bipolaren Matilda wirklich gelohnt hat. Ich habe von ihr einiges gelernt, was die Interaktion mit Fremden angeht. Es fällt mir am Abend viel leichter, Smalltalk mit Unbekannten zu führen.