WIEDERGEBURT .
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LEBEN:
Die Schlüsselübergabe für die neue WG. Keine Accessoires mehr. Kein Werbeschild sein: Alle Logos entfernt. Zuhause nur Wasser trinken.
15. Mai 2023. Die Kündigung für meinen Mietvertrag für meine bisherige Wohnung hatte ich eingereicht und holte am Nachmittag den Schlüssel für mein neues WG-Zimmer ab. Auf dem Weg zum Bus war ich sprachlos. Seit fünf Tagen streikte die Müllabfuhr, und die Abwesenheit war deutlich zu spüren. Die ganze Hinüberstraße glich einem riesigen Müllberg - die Straße war regelrecht optisch verunstaltet. Überall lagen Papierfetzen und Plastikverpackungen, vom Wind verstreut. Die starke Abhängigkeit der Stadt von der Müllabfuhr und das dadurch entstandene Chaos schockten mich in diesem Moment sehr. Während ich auf den Bus wartete, stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn die Müllabfuhr einen Monat oder länger streiken würde. »Die Straßen würden sich immer mehr mit Müll füllen, der Wind würde es noch weiter verteilen. Die Treppenhäuser würden mit Müll überquellen. Der Verkehr käme zum Erliegen, weil die Müllberge mittlerweile die Straßen erreichen würden. Ratten, Mäuse und andere Tiere würden von den Müllbergen angezogen. Es gäbe mehr Konflikte zwischen den Nachbarn, weil niemand diesen Müll vor seiner Haustür haben möchte. Nach und nach würde sich die Situation so verschärfen, dass sie bürgerkriegsähnliche Züge annehmen könnte...«
Der ankommende Bus holte mich zurück in die Gegenwart. Ich stieg ein und wurde mir erneut bewusst: Genau das ist der Grund, warum ich mein Leben allmählich in Richtung Zero-Waste transformieren wollte. Ich wollte so wenig wie möglich zu diesem Müllchaos beitragen.
Als ich am Jahnplatz ankam und vor der Wohnungstür stand, öffneten mir Viola und Vanessa die Tür. Viola war diejenige, die auszog, und Vanessa, diejenige, die in der Wohnung blieb.
»Hallo Alexander«, begrüßte mich Vanessa.
»Hey Alex, ich bin Viola.«
»Hallo Viola, freut mich.«
»Ich gebe dir schon mal die Schlüssel, ich bin gerade in einem Call.«, drückte mir Vanessa die Schlüssel in die Hand und verschwand in ihrem Zimmer. Ich unterhielt mich noch ein bisschen mit Viola.
»Und wann ziehst du ein?«, fragte sie mich.
»An diesem Freitag. Und du ziehst aus?«
»Ja, genau. Ich war nicht zufrieden mit meinem aktuellen Job und ziehe vorerst zu meinen Eltern, bis ich etwas Besseres finde.«
»Ich finde es stark von dir, dass du den Mut hast, dein Leben zu verändern. Was wäre denn dein Traumberuf?«
»Danke! Gute Frage. Ich weiß es selbst noch nicht so ganz genau. Ich brauche Zeit, um mir das genau zu überlegen. Aber auf jeden Fall etwas mit Nachhaltigkeit. Vielleicht nachhaltige Städteplanung.«
»Uh, Nachhaltigkeit klingt spannend. Ich versuche selbst, mein Leben so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Bist du vielleicht sogar Vegetarierin?«
»Ich lebe vegan. Und du?«
»Ich bin Vegetarier und arbeite daran, auch vegan zu leben. Ich habe gehört, dass Vanessa auch vegan lebt. Ihr seid sicherlich auf einer gleichen Wellenlänge?«
»Naja, nicht wirklich. Vanessa hat mehr mit Lina zu tun. Sie sind miteinander befreundet. Mir hat es nicht so gefallen, dass sie manchmal ziemlich laut waren in der WG.«, erklärte Viola, und ich merkte, dass sie sich hier in der WG nicht so wohlgefühlt hatte.
»Mich würde das nicht stören, denke ich. Weißt du schon etwas über die andere Person, die hier einzieht?«
»Nein, ich weiß nur, dass es eine Doktorandin ist.«
»Ach so, okay. Na gut, dann lerne ich sie bald selbst kennen.«
»Wann willst du deine Sachen hierher bringen?«, fragte sie mich.
»Am kommenden Donnerstag oder Freitag und bleibe dann über das Wochenende hier.«
»Dann sehen wir uns am Samstag nochmal. Ich muss nämlich noch meine ganzen Sachen einpacken und zu meinen Eltern transportieren.«
»Okay, super! Dann bis Samstag! Ach, und noch etwas! Weißt du, ob man das Fahrrad hier im Keller abstellen kann?«
»Im Keller schon, aber dort ist kaum Platz. Wir stellen alle unsere Fahrräder draußen ab.«
»Oh, okay, weiß ich Bescheid. Na gut, dann bis Samstag, na!«
»Ja, bis Samstag!«
Als ich mich bereits umdrehte und weggehen wollte, rief mich Viola noch einmal.
»Ach und Alex. Wenn du im Dunkeln im Keller bist, erschrecke dich nicht vor dem dort hängenden Angleranzug.«
»Danke für die Vorwarnung.«, grinste ich, winkte Viola zu und fuhr wieder mit dem Bus nach Hause.
Als ich nach Hause kam, nahm ich mir meine schwarze Fliege vor, die ich beim letzten Aufräumen meiner Fliegenkollektion in meiner Garderobe gelassen hatte. Sie blieb als Reserve für besondere Anlässe zurück, wenn ich schick aussehen wollte.
Ich hatte mich bereits so sehr dem Minimalismus verschrieben, dass ich selbst die kleinsten Details in Betracht zog, um mein Leben noch minimalistischer zu gestalten. Ein solches Detail war das Entfernen von Etiketten an meiner Kleidung und das Verdecken von Logos, die an Pullovern und T-Shirts im Nacken oder hinten an den Hosen angebracht waren.
Außerdem habe ich die gesamte Bankkarte mit einem permanenten schwarzen Stift zugemalt (außer die Stelle mit dem Chip). So sind keine Logos (Bank, Master, Visa sowie Kartendaten) sichtbar. Wenn ich beim nächsten Mal an der Supermarktkasse mit der Karte bezahle, so sehen die Leute hinter mir nicht, welches Bankkonto ich habe, um daraus zu schließen, was für ein Mensch ich bin. Auch, wenn mich jemand ausrauben sollte, so sieht er die Kartendaten nicht und kommt vielleicht sogar gar nicht drauf, dass es ein Bankkonto ist.
Danach widmete ich mich meiner Website und beschloss, noch mehr Module zu löschen, um Serverressourcen zu sparen. Module, von denen ich mir vorher nicht einmal vorstellen konnte, dass ich sie entfernen würde. Offenbar war ich auch in der Webentwicklung ein fortgeschrittener Minimalist geworden.
Während ich an der Website feilte, fiel mein Blick auf den Tassenuntersetzer auf dem Tisch, der mich gedanklich zu meinem Tee führte. Wenn ich keinen Tee zu Hause trinken würde, bräuchte ich dann wahrscheinlich keine Untersetzer. Wenn ich nur Wasser trinken würde, direkt in meinen Thermobecher, dann könnte ich den direkt auf den Tisch stellen, ohne Sorge vor farbigen Abdrücken zu haben. Das würde mir nicht nur das Abwaschen der Tassen ersparen, sondern auch den Bedarf an einem Wasserkocher für Tee. Kein Teekauf, kein Lagerplatz für Tee, und keine Verpackungen oder Teebeutel, die entsorgt werden müssten. Allein durch die Gewohnheit, zu Hause nur noch Wasser zu trinken, würde ich von so vielen kleinen Dingen unabhängig werden.
Diese Idee faszinierte mich, und ich beschloss, ab heute nur noch Wasser zu Hause zu trinken. Meine French Press und die Tassenuntersetzer legte ich in die Ecke, um sie später zu verschenken. Den losen Früchtetee samt dem schwarzen Behälter schenkte ich Hanna.
Mikroveränderungen:
- Ich habe alle Etiketten von meiner Kleidung abgeschnitten. Um zu vermeiden, wie ein wanderndes Werbeschild für andere Unternehmen auszusehen, kaufe ich keine Kleidung, die auffällige Logos oder Sprüche tragen. Damit können andere Menschen nicht auf den ersten Blick erkennen, wie viel Wert meine Kleidung ist.
- Ich besitze gar keine Accessoires wie Armbanduhren, Ringe, Krawatten, Fliegen, Ketten, Armbänder oder andere ähnliche Gegenstände. Dadurch vermeide ich unnötigen Müll und habe mehr Geld.
- Ich trinke nur noch Wasser zu Hause. Dadurch vermeide ich Teebeutel sowie Kaffee- und Teesatz als Biomüll und die Papierverpackung des Tees. Ich benötige somit auch keine Kaffeemaschine, keinen Wasserkocher, keine Becher und keine Untersetzer für Tassen.