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Der Tod von Opa Yura

15. März 2015. Einen Monat später ging es mir bereits etwas besser. Ich spielte meinen Lieblingschampion Veigar in League of Legends – eigentlich nur, weil er coole Zauber, wie den »Urknall« und »Ereignishorizont« ausführen konnte.

Plötzlich klingelte das Telefon im Zimmer nebenan. Nach einigen Sekunden ging jemand ran. Es musste Mama gewesen sein, denn nach wenigen Minuten der Stille hörte ich ihr lautes Weinen. Es war ein komplett anderes Weinen als das, was ich normalerweise von ihr kannte. Da wusste ich sofort, dass etwas Schlimmes passiert war. Meine zwei Schwestern und auch Tobias, Maschas Freund, waren an diesem Abend da. Wir eilten alle zu Mama.

»Was ist los?«, fragte Mascha, doch Mama heulte weiter, ohne uns zu antworten.

»Was ist los? Sag doch mal, was ist passiert? Antworte doch«, drängte Mascha immer dramatischer, während wir gespannt warteten.

»Mein Papa ist gestorben!«

Mascha fing auch an zu weinen.

Die ganze Nacht lang war schreckliches Klagen zu hören. Ich konnte nicht schlafen, weil es mir weh tat, meine Mutter so weinen zu hören. Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. Ich redete mit ihr über den Tod und den Himmel, um ihr zu sagen, dass Opa gar nicht tot war, sondern dass er weiterlebte – im Himmel!

Der Glaube war die einzige Möglichkeit, meine Mama zu beruhigen. In schwierigen Zeiten, in denen sich ein abergläubischer Mensch wie meine Mutter nach einem Wunder sehnte, konnte dieser Mensch keine Rationalität vertragen. Meine Mutter wollte einfach nicht daran glauben, dass es endgültig vorbei war und sie ihren Vater nie wieder zu Gesicht bekommen würde. In dieser Zeit brauchte sie die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, die Hoffnung auf die Existenz des Himmels, die Hoffnung auf ein Wiedersehen. Erst, als ich meiner Mama das Leben nach dem Tod bewusst gemacht hatte, als ich ihr versicherte, dass Opa jetzt sicher bei Gott sei, beruhigte sie sich.

In dieser Nacht verstand ich, dass es aus der Sicht eines Menschen in der Krise, egal ist, ob Gott existiert oder nicht, solange der Glaube an ihn hilft, die Krise zu bewältigen. Ohne Gott hätte ich meine Mutter niemals beruhigen können.

In jener Nacht erkannte ich, dass es aus der Perspektive eines Menschen in einer Krise irrelevant ist, ob Gott existiert oder nicht. Was zählt, ist der Glaube an Gott, der hilft, die Krise zu bewältigen. Ohne diesen Glauben hätte ich meine Mutter niemals beruhigen können. Es war der Glaube, der ihr Trost schenkte, und dafür war ich in dem Moment sehr dankbar, unabhängig von der Frage nach Gottes Existenz.

Nachdem meine Mutter gegen zwei Uhr nachts eingeschlafen war, begab ich mich in mein Zimmer. Ich öffnete das Fenster, blickte in den dunklen Sternenhimmel und flüsterte: »Danke dir für deine Hilfe«. Verbeugte mich und ging schlafen.

Später erzählte Oma Lina am Telefon, wie es passierte: Nach einer Fahrt stieg Yura aus dem Auto und sackte einfach zu Boden. Nach einigen Stunden im Krankenhaus starb er. Wie sich herausstellte, starb er an unbehandeltem Magenkrebs. Opa wurde direkt neben seiner Mutter, Anna Solomonova, am Friedhof in Kharkovskiy begraben.

In Russland ist es eine übliche Tradition, dass nach dem Tod eines geliebten Menschen sich alle Verwandten und Bekannten versammeln, um gemeinsam zu trauern, über den Verstorbenen zu sprechen und Erinnerungen auszutauschen. Oma lud sogar Galja und Gogi ein, und sie kamen zu dieser Gedenkfeier.

Der Tod von Opa Yura brachte eine unerwartete Wendung in der Beziehung meiner Großeltern. Sein Tod vermochte es, den unzerstörbaren Hass zwischen ihnen zu zerschmettern, doch mich stürzte er nur noch tiefer in die Abgründe der Traurigkeit.

Zukünftiges Learning nach dem Tod von Opa Yura: Wenn ich ein sehr emotionaler und insbesondere einsamer Mensch bin, ist der Glaube an Gott die am leichtesten umzusetzende Möglichkeit, schwierige Lebensphasen zu überstehen.