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Das nicht eingelöste Geburtstagsgeschenk

Alexander Fufaev (Juni 2022)

14. Juni 2022. Heute, an einem Dienstag, war meine Stimmung den ganzen Vormittag über ausgelassen, denn am Abend fuhr ich wieder zu Mara.

Als ich bei ihr ankam, öffnete sie mir die Tür und als ich ihr süßes Lächeln sah, spürte ich, wie mir warm ums Herz wurde und ich aufgeregt war.

»Ich habe dich so vermisst«, begrüßte sie mich mit einer herzlichen Umarmung.

»Ich dich auch, Maus«, erwiderte ich, sie noch fester in meine Arme schließend.

Nach einigen innigen Kuschelmomenten bereitete Mara mir einen köstlichen Kaffee zu, während sie sich selbst einen Kräutertee gönnte.

»Überraschung! Ich habe für dich den Maulwurfkuchen aufgetaut, den ich von meinem Geburtstag eingefroren hatte. Du wolltest ihn doch unbedingt probieren«, verriet sie mir freudig, während sie den Tee aufgoss.

»Das ist so lieb von dir«, strahlte ich vor Freude, denn der Maulwurfkuchen war einer meiner absoluten Favoriten unter den Kuchen.

»Und es tut mir leid, dass ich dich nicht zu meinem Geburtstag eingeladen habe. Es war eine kleine Feier nur mit meinen Mädels.«

»Kein Problem, wirklich. Ich habe mich sehr gefreut, dass du mir Fotos von deinem Geburtstag geschickt hast, und es war wirklich schön, dich glücklich zu sehen«, versicherte ich ihr und gab ihr einen sanften Kuss auf die Schläfe, als sie mir den Kaffee einschenkte.

Mit dem Kaffee in der einen Hand und dem köstlich aussehenden Kuchen in der anderen, machten wir es uns auf dem Sofa im Wohnzimmer gemütlich. Heute stand der Film auf dem Programm, den Mara schon immer sehen wollte: Der Vorleser.

Das war der erste Film, bei dem wir uns mehr auf den Inhalt statt auf das Kuscheln konzentrierten. Im Film geht es um einen Jugendlichen namens Michael, der eine Liebesbeziehung zu einer älteren Frau namens Hanna entwickelt. Jedes Mal, wenn er sie besucht, liest ihr etwas vor und sammelt dabei seine erste sexuelle Erfahrung.

»Übrigens, Mara, Jule kommt diesen Freitag«, sagte ich am Ende des Films und spürte eine leichte Traurigkeit, da ich immer noch nicht wusste, wie es weitergehen würde.

»Oh, der Tag ist also gekommen. Hast du sie schon bezüglich einer polyamoren Beziehung gefragt?«, fragte sie mit einer leicht enttäuschten Stimme.

»Ja, ich habe mit ihr gesprochen, aber sie kann sich das nicht vorstellen. Zumindest vorerst möchte sie, dass alles so bleibt, wie es jetzt ist. Ich darf dich treffen und sie möchte weiterhin Kontakt zu Shinshu haben«, erzählte ich von meinem letzten Telefonat mit Jule.

»Ich muss zugeben, dass ich ein wenig eifersüchtig bin. Du hast mir zwar schon viel von Jule erzählt, und sie scheint eine Person zu sein, mit der ich mich gut verstehen könnte. Aber wenn ich daran denke, dass du dann mit einer anderen Frau im Bett liegst... Ich weiß nicht, ob mir unsere Beziehung dann guttut. Wäre es denn okay für dich, wenn ich auch Kontakt zu anderen Männern habe?«, sagte Mara und starrte nachdenklich durch das Fenster, wo die Wolken im Mondschein schimmerten.

»Ich verstehe deine Gefühle vollkommen. Es fühlt sich auch komisch an, wieder neben Jule aufzuwachen und nicht neben dir«, gestand ich. »Und natürlich darfst du auch Kontakt zu anderen Männern haben, auch wenn ich dadurch ein wenig eifersüchtig werde. Aber ich denke, ich kann damit umgehen. Das Wichtigste ist, dass du dich glücklich fühlst.«

Nach einem emotional schwierigen Gespräch hatten wir Sex und schliefen danach direkt auf dem Sofa ein. In der Nacht wurden wir von Maras piependen Insulinpumpe geweckt, die an ihrem Bauch befestigt war. Das veranlasste uns, unseren Schlaf ins Bett zu verlagern, wo wir fest bis neun Uhr schliefen.

Am Esstisch deutete Mara auf eine graue Stofftüte, die auf einem Stuhl lag.

»Das ist dein Geburtstagsgeschenk.«

»Oh, Dankeschön! Ich werde das Geschenk dann an meinem Geburtstag öffnen«, bedankte ich mich und nahm das Geschenk in die Hand.

»Es wird dir gefallen«, kommentierte sie, während ich das Geschenk bereits in meinen Rucksack packte. Ich gab ihr einen Kuss.

Nach dem Frühstück, gegen elf Uhr, begleitete sie mich zum Bahnhof.

»Viel Spaß morgen beim Campus Festival«, wünschte ich ihr bei unserer Verabschiedung.

»Danke! Freust du dich eigentlich, Jule in drei Tagen wiederzusehen?«

»Ja, ich freue mich! Vor allem freue ich mich darauf, dass wir dann zusammenziehen. Ich mache mir nur Sorgen um deine Gefühle. Ich möchte dich auf keinen Fall verletzen.«

»Es wird nicht einfach sein, das spüre ich«, kommentierte sie nachdenklich.

Wir umarmten uns und ich gab ihr einen letzten Kuss, bevor ich ging. Als ich auf dem Weg zum Gleis immer wieder zurückblickte, stand Mara noch an der Treppe, blickte in meine Richtung und winkte mir zu. In diesem Moment wusste ich noch nicht, dass es unser letztes Treffen sein würde.


Was ich aus diesem Lebensabschnitt gelernt habe:
  1. Es reicht nicht, Beziehungsprobleme regelmäßig zu besprechen; man muss sie auch lösen.
  2. Wenn ich Gutes tue (zum Beispiel Geld spenden) und mich dabei von vielen Menschen beobachten lasse, kann ich eine Kettenreaktion der guten Taten auslösen.
  3. Anstatt abgelaufene Lebensmittel sofort wegzuwerfen, sollte ich prüfen, ob sie noch gut sind. Meistens sind sie es noch.
  4. Die meisten Menschen wählen aus den Regalen des Supermarkts nur das schönste und frischeste Gemüse und Obst aus. Ich sollte ein Vorbild sein und mich für Lebensmittel entscheiden, die weniger schön oder weniger frisch sind, und sie vor dem Müll retten.
  5. Ich bevorzuge Second-Hand-Produkte gegenüber Neuware, um der Wegwerfgesellschaft entgegenzuwirken und die Kreislaufwirtschaft zu fördern.
  6. Von Mara habe ich auch viel über Typ-1-Diabetes gelernt. Vorher wusste ich gar nicht, was Typ-1-Diabetes ist. Sie hat mir auch die Begriffe Cismann und Cisfrau beigebracht. Und von ihr habe ich zum ersten Mal über Chakren gehört.
  7. Wenn ich verliebt bin, sollte ich darauf achten, keine irrationalen und voreiligen Entscheidungen zu treffen. In diesem hormonverseuchten Zustand bin ich dafür sehr anfällig.
  8. Ich muss beim Sex nicht unbedingt zum Höhepunkt kommen. Ich sollte mich nicht unter Druck setzen.
  9. Wenn ich emotional aufgewühlt bin, hilft es mir, in die Natur zu gehen und mich von ihr trösten zu lassen.
  10. Beim Veganismus geht es darum, das Leid aller Spezies zu minimieren. Das Erreichen von Null Leid ist, wie ein Physiker sagen würde, nur ein Idealfall.