Direkt zum Inhalt

Der Liebesbrief an Jana

13. Februar 2015. Das Horoskop von Erika Berger bewertete den heutigen Tag, bezogen auf Liebe und Partnerschaft, mit fünf von fünf Herzen. Auch bei Janas Sternzeichen und ihrem Geburtstag waren fünf Herzen abgebildet. Ich wusste sofort, dass ich ihr heute begegnen würde, denn an jenen Tagen, an denen sie nicht in meiner Gegenwart war, sagte das Horoskop nur eins, zwei oder höchstens drei von fünf Herzen voraus. Wenn ich Jana von den Horoskopvorhersagen erzählt hätte, hätte sie bestimmt nur gesagt, dass es reine Zufälle waren. Sie war immer eher rational. Doch trotz ihrer äußeren Rationalität war sie ein sehr emotionaler, barmherziger Mensch. Vielleicht wäre ich genauso wie sie, wenn ich mich bei der Scheidung meiner Eltern für meinen rationalen Vater und nicht für meine emotionale Mutter entschieden hätte.

Nach der sinnlos verschwendeten Zeit in den Vorlesungen, nach denen ich genauso viel wusste, wie vorher, machte ich mich um vierzehn Uhr auf den Weg nach Hause. Ich ging entlang der Waggons und schaute nach links und rechts, in der Hoffnung, Jana endlich zu sehen. Es war höchst unwahrscheinlich, dass ich sie zu dieser Zeit antreffen würde, denn sie müsste noch bei der Arbeit sein. Aber die Hoffnung, die mir das Horoskop gab, ließ mich nicht mal ansatzweise zweifeln. Ich ging entschlossen weiter durch die Waggons und begegnete Jana tatsächlich. Diesmal zeichnete sie nicht, stattdessen las sie ein Buch. Ich mochte es so sehr an ihr, dass sie las.

Ich setzte mich zu ihr und begrüßte sie. Sie grüßte zurück, sagte aber nichts weiter. Es war ein befriedigendes Gefühl, sie endlich wiederzusehen und sie beim Lesen zu beobachten. Es erinnerte mich an die Tage, an denen wir gemeinsam eingekuschelt im Bett gelegen hatten und sie mir ein Stückchen aus ihrem Buch vorlas. Hätte ich damals gewusst, dass unsere gemeinsame Geschichte bald zu Ende sein würde, wäre ich auf die Knie gefallen und hätte sie gebeten, mich an diesem letzten Tag nicht ernst zu nehmen. Sie musste bald aussteigen, obwohl ich gehofft hatte, dass sie sitzen bleiben und mit zu mir weiterfahren würde. Zu Hause angekommen, schrieb ich ihr einen Brief:


»Kurz vor dem Aussteigen risst du ein Blättchen aus deinem Heft heraus, welches ich zwischen den Seiten eines Buches aufbewahrte. Das war der 20. November 2014, ein Donnerstag, gegen siebzehn Uhr – da hast du dich von deiner außergewöhnlichen Seite gezeigt und mich dazu bewogen, dich anzusprechen. Diesen Tag werde ich niemals vergessen.

Ich kann nicht sicher wissen, dass Gott wirklich das Beste für mich will; ich weiß nicht, ob er barmherziger oder sadistischer Natur ist. Ich weiß auch nicht, ob du meine Bestimmung bist, aber etwas hält immer noch meinen Glauben und meine Hoffnung am Leben – trotz gefallener Würfel deinerseits. Auch, wenn es manchmal hoffnungslos aussieht und in manchen Momenten sehr herzzerreißend für mich ist, ist es sicher kein Grund, dich aufzugeben. Es ist vielleicht nicht einfach äußerlich an mir zu erkennen, dass du mir unheimlich viel bedeutest, aber im geistigen Inneren entfaltet sich unendliche Sehnsucht nach dir; und sobald du in meiner Gegenwart bist, verspüre ich so viel Freude und Vollkommenheit meines Geistes; was kaum in Worte zu fassen ist. Unsere Geister sind miteinander verflochten, Jana; wohl deshalb kämpft meine Hoffnung weiter. P.S. Ich will, dass wir zusammen sind, so lange wie es geht.«