WIEDERGEBURT .
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LEBEN:
Physikstudium-Hölle
September 2014. Jeden Morgen stand ich um viertel vor sechs auf, um zu duschen, zu frühstücken und mich dann auf den Weg nach Harsum zu machen, wo der Zug nach Hannover fuhr. Nach Harsum reiste ich entweder mit dem Bus oder meine Mutter setzte mich dort ab, wenn sie zur Arbeit nach Algermissen fuhr. Wenn sie zu anderen Zeiten arbeitete und mich deshalb nicht nach Harsum bringen konnte, hatte ich keine Wahl als mit dem Bus zu fahren.
Leider konnte ich mit meinem Semesterticket nicht kostenlos fahren. Dieses war für die Busfahrt bis Harsum ungültig. Deshalb musste ich jedes Mal, wenn ich den Bus nahm, drei Euro für ein Ticket ausgeben, das ich aber zum Glück von meinem BAföG bezahlen konnte. Viel blieb von diesem Geld nicht übrig, da ich damit meiner Mutter half, Rechnungen und Schulden zu begleichen, wenn es finanziell kritisch wurde. Eigentlich hätte ich das Fahrrad meiner Schwester statt dem Bus nutzen können, um etwas Geld zu sparen, aber ich war zu faul dafür.
Die ganzen Vorlesungen und Tutorien gingen meist bis zum Nachmittag. Um bei der Rückfahrt nach Hause nicht eine Stunde in Harsum auf den Bus warten zu müssen, bearbeitete ich bis acht Uhr abends in der Unibibliothek die vier wöchentlichen Übungszettel in linearer Algebra, Analysis, Experimentalphysik und theoretischer Physik. Ich hatte die Einführungswoche für Studienanfänger nicht besucht und war deshalb in keiner der Lerngruppen, die sich in der Woche gebildet hatten.
Ich traute mich nicht, bei einer der Gruppen nachzufragen, ob ich mitmachen konnte. Ich war mal wieder in einer introvertierten Phase, wahrscheinlich weil mich die erfolglose Suche nach einer Wohnung etwas niedergeschlagen hatte. Daher arbeitete ich entweder allein oder manchmal mit Niels.
Um neun Uhr war meine Mutter mit dem Spätdienst fertig und holte mich aus Harsum ab. Von frühmorgens bis abends war ich in der Uni.
Zu Hause, nach dem Abendessen, saß ich weiter bis spät in die Nacht an den Übungszetteln und kriegte es trotzdem nicht hin, sie fertig zu bearbeiten. Ich fühlte mich einfach zu dumm dafür und mein Kopf explodierte beinahe. Meine Mutter kam in mein Zimmer hinein und erinnerte mich daran, schlafen zu gehen, wenn es bereits Mitternacht war. Die Vorlesungen begannen am nächsten Tag um acht, was für mich hieß, dass ich um viertel vor sechs wieder aufstehen musste.
Mit jedem weiteren Tag baute sich ein ungewohnter Druck auf, der für mich nur schwer zu verkraften war. Während der Professor bereits über neue Themen sprach, stecke ich noch bei den alten und versuchte, sie richtig zu verstehen.
Die ganze Situation ließ mich in höllische Stresssituationen geraten, die ich vorher noch nie erlebt hatte und schon gar nicht im Physikunterricht. So hatte ich mir das Physikstudium nicht vorgestellt. Ich war wohl nicht allein – auch Niels war immer seltener in der Uni und brach schon bald das Physikstudium ab.
Meine Kraft ließ langsam nach, und der Spaß an der Physik schwand. Ich fing an, die Übungszettel und Vorlesungen auszulassen und lieber zu Hause zu bleiben. Stattdessen spielte ich gewertete Spiele in League of Legends und versuchte, weiter zum Diamant-Rang aufzusteigen, um zu den besten 1.5% der Spieler weltweit zu gehören. Oder ich schaute mir Let's Plays der allerbesten Spieler an.
Auf diese Weise schottete ich mich von der Außenwelt ab, genau wie früher. Jedes Mal, sobald ich das Spiel oder ein Let's Play startete, fühlte ich mich wie auf Knopfdruck deutlich introvertierter. Bei dem Gedanken an die letzten sozialen Interaktionen, wie das Ansprechen eines Mädels auf der Straße, kam bei mir ein Gefühl der Peinlichkeit auf, und ich dachte, dass ich diese Interaktion hätte lassen sollen.
Es gab aber auch Phasen, in denen ich in League of Legends nicht weiterkam. An solchen Tagen versuchte ich, Ideen auszuarbeiten, die mir während der Vorlesung, in der ich ohnehin nicht richtig mitkam, eingefallen waren. Beispielsweise bemerkte ich in einer Mathematikvorlesung, dass für ein und dieselbe Sache mehrere Synonyme und Notationen benutzt wurden. Dies führte dazu, dass ich glaubte, mich mit einer Sache noch nicht ausreichend auszukennen, obwohl ich dies bereits tat. Mir fehlte lediglich das Wissen über dieses spezifische Synonym oder diese Notation.
In der Schule war es oft ähnlich gewesen, ohne dass es mir aufgefallen war. Dieser Umstand veranlasste mich dazu, an den Tagen, an denen ich in League of Legends nicht weiterkam, eine einheitliche Notation zu entwickeln, um die Kommunikation in der Physik und Mathematik verständlicher und eindeutiger zu gestalten. Ich begann also, alle Begriffe und Schreibweisen, die ich in der Uni kennenlernte, eindeutig festzulegen, um unnötig viele Begriffe für ein und dieselbe Sache zu vermeiden.
So wagte ich etwas, was kein Mathematiker auf der Welt wagen würde, und entwickelte eine komplett neue Schreibweise für das seit Jahrhunderten bestehende Summen- und Produktzeichen. Dieses Summenzeichen war seitdem überall in meinen Videos und auf meiner Website zu finden.
Auch modernisierte ich das Periodensystem der Elemente, was wahrscheinlich auch kein Chemiker jemals wagen würde. Ich habe alle Bezeichnungen der Elemente vereinheitlicht, sodass sie mit dem Element-Symbol übereinstimmen und nicht mehr ins Englische übersetzt werden müssen. Zum Beispiel wurde Wasserstoff (H) zu Hydrogenium (H). Bor (B) wurde zu Borium (B). Kohlenstoff (C) wurde zu Carbonium (C). Stickstoff (N) zu Nitrogenium (N). Neon (Ne) zu Neonium (Ne). Titan (Ti) zu Titanium (Ti) und so weiter. Aluminium (Al) blieb natürlich weiterhin Aliminium (Al).
Universalnorm (PDF)
Ich fühlte mich in dieser Zeit sehr einsam. Sowohl zu Hause als auch in der Uni oder in der Mensa verbrachte ich meine Zeit meist allein. Ich sehnte mich nach einer Person, bei der ich mich geborgen fühlte. Einer Person, die mich in den Arm nehmen und mit motivierenden Worten bestärken würde, nicht aufzugeben. Einer Person, mit der ich zusammen einschlafen oder einfach etwas unternehmen könnte, um auf andere Gedanken zu kommen. Je verzweifelter mich das Physikstudium machte, desto mehr verspürte ich den Drang, diese eine Person zu finden. In meinem Zimmer an der Wand über meinem Schreibtisch hing mittlerweile ein bunt angemalter Zettel, auf dem stand: »Ziel: meine Seelenverwandte finden.«
Ich vertrat damals die Ansicht, dass das Universum durch und durch deterministisch war. Alles war vorherbestimmt. Mein Handeln war nur scheinbar selbstbestimmt. Alles, was ich angeblich nach freiem Willen tat, war lediglich eine Folge des vorherigen Zustands des Universums. Meine Zukunft stand also bereits fest und könnte mithilfe eines Horoskops möglicherweise schon in der Gegenwart offenbart werden.
Daher schaute ich mir, wenn ich die Uni schwänzte, verschiedene Horoskope an und untersuchte, welches die beste Vorhersagekraft hatte. Jeden Tag verglich ich die Aussage des Tageshoroskops mit meinen Erlebnissen. Erika Bergers Horoskop schien mir das beste zu sein, vor allem, weil ich dort mein Geburtsdatum eintragen konnte. Um meine Vermutung zu bestätigen, suchte ich nach Probanden bei Facebook, um herauszufinden, ob dieses Horoskop für andere Menschen genauso gut funktionierte.
Lediglich bei vier von zwanzig Personen, die mitgemacht hatten, sagte das Horoskop das Erlebte treffend voraus. Ich war einer dieser vier Menschen. Und obwohl es nach diesem Experiment keinen rationalen Grund gab, den Vorhersagen zu vertrauen, gewöhnte ich es mir dennoch an, täglich in Erika Bergers Horoskop zu schauen, um herauszufinden, ob ich meiner Seelenverwandten heute begegnen würde. Und eines Tages hatte es endlich geklappt…